Eine undurchsichtige explosive Gemengelage im Gebiet Syrien/Irak

Wer bekämpft in dem Gebiet Syrien/Irak jetzt wen? Angeblich sind es 70 Kriegsparteien, manche dabei sehr groß, manche eher klein. Und manchmal wechseln auch die Allianzen.
Um überhaupt eine gedankliche Ordnung in dieses Chaos zu bringen scheint es sinnvoll gewisse Gruppierungen zu versuchen.
1. Kämpfer auf lokaler Ebene:
Islamisten, aber selbst diese sind gespalten:
• Die erste Gruppe hofft zwar auf die Bildung eines islamischen Staates, möchte ihn aber mit friedlichen Mitteln erreichen; und zwar durch Verbreitung einer Ideologie. Und diese Ideologie ist der Salafismus. Der Salafismus gilt als eine ultrakonservative Strömung innerhalb des sunnitischen Islams, die eine geistige Rückbesinnung auf die „Altvorderen“ (arabisch Salaf: Vorfahre; Vorgänger) anstrebt. Unter den Salafisten gibt es zwei Strömungen: eine, die eine Vereinbarkeit von Islam und Moderne vertritt, die andere konservativer. Diese zweite Gruppe lehnt nicht nur die Moderne, sondern auch Entwicklungen der islamischen Theologie und der religiösen Praxis wie etwa Traditionen bestimmter Rechtsschulen oder den Sufismus ab. Bevor die Ziele dieser Gruppe erreicht sind, ist sie bereit mit einer Regierung, die sich islamisch ausgibt, zusammen zu arbeiten.
• Die zweite Strömung kämpft für einen islamischen Staat Syrien, in dem auch mit Gewalt die Scharia eingeführt werden soll. Wie diese Scharia anzuwenden wäre, bestimmt die Ideologie dieser Gruppe. Dies vertritt die Nusra-Front, der syrischen Ableger der Al Qaida.
• Die dritte islamistische Strömung ist die des Islamischen Staates. Sie strebt mit Gewalt an Kalifat an – das ja bereits eingerichtet wurde – das aber dann im Idealfall die ganze muslimische Welt erfassen soll. Sie kämpft mit Methoden, die einerseits aus dem „Goldenen Zeitalter des Islam“, der Zeit Mohammeds und seiner direkten Nachfolger stammt (z.B. Zerstörung der Götzen, die aber für uns Weltkulturerbe darstellen) aber auch mit durchaus modernen Methoden, übernommen von den Geheimdienstoffizieren des irakischen Regimes unter Saddam Hussein, die sich nach der Auflösung der irakischen Armee durch die Amerikaner (Paul Bremer, Governor of Iraq) dem IS angeschlossen haben. Diese Offiziere sind zuständig für das organisatorische und taktische Vorgehen des IS. Beim IS gilt: wer nicht für ihn ist, der ist gegen ihn und daher ein Feind. Eine Zusammenarbeit mit anderen Gruppen ist daher ausgeschlossen.

Syrische Kurden
Sie hoffen auf ein autonomes kurdisches Territorium entlang der türkisch-syrischen Grenze. Auf diesem Gebiet haben sie eine klare Mehrheit. Sie kämpfen auf der einen Seite gegen den IS, werden aber dabei aus der Luft von amerikanischen Kampfflugzeugen unterstützt (z.B. Kobane). Für die Amerikaner sind die Kurden in Syrien wichtige Partner. Besonders weil es wenige syrische Armee-Einheiten gibt, die gegen den IS energisch vorgehen und die USA keine eignen Bodentruppen einsetzen will. Andererseits werden sie von den Türken (von türkischen Territorium aus) unter Feuer genommen.

Nicht zu vergessen: die syrische Armee
Sie kämpft gegen alle, die Assad die Macht streitig machen, und die von ihm samt und sonders als Terroristen bezeichnet werden. Und die syrische Armee wird kräftig aus der Luft von russischen Kampfflugzeugen unterstützt.

Zuletzt: die gemäßigten zivilen Rebellen
Sie haben den Kampf gegen Assad begonnen, sind aber von den diversen Gruppierungen an den Rand gedrängt worden.

2. Die regionalen Mächte

Das sind Türken, Iraner, die Saudis und die schiitischen Teile des Irak.
• Iran, die irakischen Schiiten und die Hisbollah stehen aufseiten Assads und versuchen ihn, unterstützt von den Russen an der Macht zu halten
• Saudi-Arabien, mit seinen Verbündeten des Golfkooperationsrates und die Türkei sind Feinde Assads. Saudische Gelder und Waffen gehen zu den Gruppen des salafistischen Widerstandes.

• Die Türkei verfolgt allerdings auch ihre eigenen Ziele, einerseits möchte sie Assad zu Fall bringen, andererseits verhindern, dass die Kurden an ihrer Südgrenze ein eigenes Territorium errichten, und sie hat kürzlich auch den IS als ihren Feind entdeckt, vorher hat sie ihn „wohlwollend geduldet“. Sie gestattete den freien Grenzübertritt von Dschihadisten sowie Waffentransporte nach Syrien, und sie exportierte IS gefördertes Erdöl – eine wichtige Einnahmequelle des IS. Aber nachdem IS-Terroristen in der Türkei Sprengstoffanschläge durchgeführt hatten, änderte sich dieses Verhältnis. Die Türkei hat auch ihre Haltung gegenüber Russland modifiziert, nachdem angeblich russische Flugzeuge in ihr Territorium eingedrungen sind und von der Türkei abgeschossen wurden. Unter den regionalen Staaten ist die Position der Türkei eine besondere – wegen der Kurden. Für Ankara sind die syrischen Kurden die Hauptfeinde und die Hauptgefahr, genauso wie die „eigenen“ türkischen Kurden der PKK. Der Kampf gegen die Kurden ist für die Türkei ebenso wichtig wie der Kampf gegen den IS. Für die USA und Europa sind die Kurden jedoch Partner und wichtige Helfer im Kampf gegen den IS, weshalb sie vom Westen verteidigt und geschützt werden. Ankara gibt sich eisern entschlossen zu verhindern, dass die syrischen Kurden die Lücke an der türkischen Grenze schließen.

Iran ist wieder der Hauptkonkurrent und daher Feind der Saudis. Die Saudis kämpfen in Jemen gegen die Huthis, weil sie diese als Speerspitze der Iraner betrachten, die sie an der jemenitischen Grenze bedrohen.

3. Russland und die USA
• Die Russen haben ein klares Ziel: sie wollen Assad an der Macht erhalten, und zwar „bis das syrische Volk es anders bestimmt“, wie sie sagen. Das syrische Volk wird sich nicht frei äußern können, solange Assad es kontrolliert. Um ihr Ziel zu erreichen, setzen die Russen ihre Luftwaffe in Syrien ein. Und ihre Angriffe richten sich gegen alle Kräfte, die Assad zu Fall bringen wollen oder könnten. Der Einsatz der russischen Luftwaffe hat es der syrischen Regierungsarmee erlaubt, in die Offensive zu gehen. Und Assad hat geäußert, dass er diesen Krieg solange fortführen wird, bis er sein ganzes Land zurückerobert haben wird, egal wie lange es dauert. Er nimmt z.B. die komplette Zerstörung von Aleppo in Kauf, die vielen Flüchtlinge und die Toten scheinen ihm egal zu sein. Die Hauptsache: er bleibt an der Macht! Der IS scheint vorerst im Rahmen der russischen Strategie sekundär.

• Die amerikanischen Streitkräfte bombardieren den IS und wollen, dass Assad nicht endgültig an der Macht bleibt. Sie unterstützen die säkularen Gruppen und die Kurden, um diese im Kampf gegen Assad zu stärken. Die säkularen Kräfte waren in der Minderheit und uneinig und weit verstreut. Sie besaßen keine einheitliche Führung. Und aufgrund dessen wurden stattdessen die islamistischen Gruppen von den Golfstaaten unterstützt. Derzeit sind die Amerikaner auch hin- und hergerissen zwischen ihrem türkischen NATO-Verbündeten und ihren kurdischen Helfern gegen den IS. Demgemäß haben die Amerikaner Ankara und die Kurden aufgefordert, sich auf dem Kampf gegen den IS zu konzentrieren und die Gewalt gegeneinander nicht zu eskalieren. Die Amerikaner hätten, nach dem Atomabkommen mit Iran, alles Interesse daran, mit Iran bessere Beziehungen einzurichten. Iran ist ein Feind des IS und bereit, das „Kalifat“ zu bekämpfen. Doch Washington ist auch ein Verbündeter und Hauptwaffenlieferant Saudi-Arabiens. Die USA stehen also gegenüber Riad, ähnlich wie gegenüber Ankara, als ein Freund da, der gleichzeitig ein Interesse daran hat, mit dem Hauptfeind dieses Freundes, Iran, zusammenzuarbeiten

Das Gebiet versinkt in Chaos, in Aleppo steht fast kein unzerstörtes Haus mehr, Spitäler und Schulen werden gezielt bombardiert. Die Bewohner fliehen. Es ist eine brandgefährliche Situation, nicht nur für die Region sondern auch für Europa, die Flüchtlinge strömen weiterhin aus diesem Gebiet, aber auch weltweit, weil sich viele Gelegenheiten für höchst unerwünschte Zusammenstöße von Konkurrenten und alten Feinden ergeben. Möge dies nicht eintreffen.

Eine undurchsichtige explosive Gemengelage im Gebiet Syrien/Irak

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