Von den Kurden war und ist viel zu hören. Da werden sie in der Türkei verfolgt, da gibt’s die PKK, die Arbeiterpartei Kurdistans, da gibt es auch noch Abdullah Öcalan, 1999 angeklagt und zu Tode verurteilt, 2002 auf lebenslänglich abgeändert, aktiv im – inzwischen abgebrochenen Prozess der Versöhnung zwischen Türken und Kurden. Die syrischen Kurden werden von der Türkei aus beschossen, sie haben aber ihre Heimat bei und in Kobane tapfer gegen den IS verteidigt. Dabei sind auch viele weibliche kurdische Kämpferinnen aufgetreten. Und dann gibt es noch die irakischen Kurden, die fast schon so etwas wie einen eigenen Staat errichtet haben, die autonome Region Kurdistan. Diese irakischen Kurden haben auch eine Streitmacht, Peschmerga, die in letzter Zeit durch ihre Erfolge gegen den IS aufgefallen sind, und die eigentlichen Bodentruppen darstellen, die von der Allianz, geführt von der USA, aus der Luft unterstützt werden.
Wer sind nun diese Kurden?
Die Kurden bilden eine bedeutende autochthone ethnische Volksgruppe in der Türkei, im Irak, im Iran und in Syrien. Die Größe des Volkes ist nicht genau bekannt, weil in den Staaten, in denen die meisten Kurden leben, Daten über ihre ethnische Zugehörigkeit nicht erhoben werden. Die meisten Schätzungen bewegen sich zwischen 25 und 30 Millionen Menschen.
Seit den 2014 kulminierenden Spaltungstendenzen im Irak – aber auch dem langjährigen Bürgerkrieg in Syrien – verstärken sich die Bestrebungen zur Gründung eines eigenen Kurdenstaates. Dieser könnte aber nach derzeitiger politischer Lage neben dem nördlichen Viertel des Irak allenfalls die kurdischen Siedlungsgebiete im Norden Syriens umfassen. Diesen Tendenzen stellt sich die Türkei vehement entgegen. Die iranischen Kurden haben sich dazu noch nicht „gemeldet“.
Historische Highlights der kurdischen Geschichte
Kurdistan war schon eine Provinz des Persischen Reiches unter der Seldschukenherrschaft (1040–1194). Im Osmanischen Reich des 19. Jahrhunderts entstand bei einer Verwaltungsreform eine Provinz mit dem Namen Kurdistan, die jedoch bald wieder aufgelöst wurde.
In der Türkei ist es das Gebiet um Ankara und Konya, in dem sich seit Generationen verstreute kurdische Siedlungen befinden. Die meisten Kurden wurden nach Aufständen hierhin vertrieben. Aufgrund hoher Arbeitslosigkeit, mangelnder Infrastruktur und Versorgung sowie des Krieges zwischen der türkischen Armee und der PKK in den kurdischen Gebieten siedelten viele Kurden nach Mersin, Adana, Istanbul und in die südostanatolischen Städte um, sodass diese Städte größere kurdische Gemeinden haben.
Im Iran leben in den westlichen Provinzen etwa 4 bis 4,5 Millionen Kurden. Aber auch in Chorasan gibt es kleinere kurdische Gemeinden. Im Jahr 1388 kamen nach Vertreibungen durch Tamerlan viele Kurden hierher. 1587 und 1628 fanden Umsiedelungen durch den Safawiden Schah Abbas I. statt.
Die Kurden bekannten sich schon im siebenten Jahrhundert zum Islam. Einer ihrer berühmtesten Vorfahren war Saladin – bekannt aus den Kreuzzügen – er gründete die Ayyubiden-Dynastie von Syrien. Dieses Reich erstreckte sich über Teile von Kurdistan, Ägypten und dem Jemen. Dieses Ayyubidische Reich war aber keinesfalls ein kurdisches sondern ein islamisches Reich, die Bewohner bezeichneten sich als Muslime und nicht als Araber oder Kurden.
Einen großen Wendepunkt in der kurdischen Geschichte stellte 1514 die Schlacht bei Tschaldiran zwischen Osmanen und Safawiden dar, bei der sich die mehrheitlich sunnitischen Kurden mit den Osmanen verbündeten.
Bis zur Zeit des Ersten Weltkriegs prägte die Kurden einerseits ihre Stammeszugehörigkeit, andererseits der sunnitischen Islam. Erst unter dem Einfluss europäischer Ideen entwickelten sie dann ein eigenes Nationalgefühl. Nach der Niederlage des Osmanischen Reiches gegen die Alliierten wurde den Kurden im Vertrag von Sèvres eine autonome Region in Aussicht gestellt.
Kurden in der Türkei
Gegen die Bestimmungen dieses Vertrages und die territorialen Verluste auf dem Gebiet der heutigen Türkei kam heftiger auch militärischer Widerstand, geleitet von General Atatürk auf. Die Kurden kämpften an der Seite der Türken gegen die Besatzungsmächte (Allierten). Nach dem Sieg gelang es der Türkei 1923 im Vertrag von Lausanne die Bestimmungen aus dem Vertrag von Sèvres revidieren. Den ursprünglichen Versprechungen gegenüber den Kurden wurde aber nicht Rechnung getragen. Vielleicht weil auch Woodrow Wilson, auf dessen Hilfe man hätte zählen können, schon tot war. Auf der Grundlage dieses Lausanner Vertrages erkannte die 1923 von Mustafa Kemal Atatürk ausgerufene Republik Türkei die Kurden nicht als ethnische Minderheit an. Eine Reihe von Aufständen in der Zwischenkriegszeit wurden von der türkischen Armee blutig niedergeschlagen.
Der Gebrauch der kurdischen Sprache war bis vor einigen Jahren verboten. Kurdischsprachige Medien waren bis 1991 nicht gestattet. Türkisch wurde gesetzlich als Muttersprache aller türkischen Staatsbürger festgelegt. Ein Verstoß dagegen konnte sechs Monate bis zwei Jahre Haft bringen.
Nach dem Beginn des bewaffneten Kampfes der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans, sozialistisch ausgerichtete militante Untergrundorganisation mit Ursprung in den kurdischen Siedlungsgebieten innerhalb der Türkei) 1984 gegen den Staat verschlechterte sich die Situation der Kurden im Südosten der Türkei. Über ein Jahrzehnt galt in den betroffenen Provinzen der Ausnahmezustand. Der Krieg dauerte bis 1999, als Abdullah Öcalan verhaftet wurde. Während der Konflikte kamen geschätzte 35.000 Menschen ums Leben. Im Zuge der Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union wurden die Rechte der Minderheiten in der Türkei verbessert. 2013 setzte zwischen der PKK und der türkischen Regierung ein Friedensprozess ein.
2008 entstanden nach und nach verschiedene Parteien, welche die politischen und kulturellen Interessen der kurdischen Minderheit zu vertraten. Später öffneten sich diese Parteien um auch andere z.B. linke, sozialistische Gruppen eizubinden. Eine gemäßigte Kurdenpartei schaffte es bei der Parlamentswahl 2015 als Partei mit 13 % ins Parlament. Erwähnenswert ist vielleicht auch das Verhalten von Erdogan, der bei der ersten Wahl 2015 nicht die notwendige Mehrheit erhalten hatte, dann Koalitionsverhandlungen scheitern ließ, um bei einer weiteren Wahl dann das zu gewinnen, was er gemeint hat, dass ihm die Kurden gekostet hätten.
Aber mit dem Ausweiten des sogenannten Islamischen Staates südlich der türkischen Grenze veränderte sich die Situation. Vollends kippte das Verhältnis Türkei – Kurden nach dem Juli 2015: In der türkischen Stadt Suruc gab es einen verheerenden Bombenanschlag. Als „Rache“ folgten Anschläge der PKK auf türkische Polizisten.
Ende 2015 versuchte die EU die Türkei als Puffer für die Migrationsbewegung nach Europa zu gewinnen. Die türkische Regierung sieht daher freie Hand in ihrem Vorgehen gegen kurdische Separatistenbewegungen. Die Kurden in der Türkei bilden schätzungsweise 18 Prozent der Gesamtbevölkerung
Kurden im Iran
Anfang des 20. Jahrhunderts gab es immer wieder kurdische Aufstände. Am 22. Januar 1946 wurde nach der anglo-sowjetischen Invasion Irans unter der Schirmherrschaft der Sowjetunion in Mahabad die Republik Mahabad gegründet. Dieser Staat aber brach schon ein Jahr später wieder zusammen. Bis zur islamischen Revolution 1979 herrschte Friedhofsruhe in den kurdischen Gebieten. Allerdings überwarfen sich die Kurden mit Khomeini, der ihnen in der Verfassung keine Autonomie zusicherte, denn es sollte keine ethnischen Gruppen, sondern nur die islamische Glaubensgemeinschaft geben. Im August 1979 bombardierte die iranische Armee kurdische Städte und Dörfer, wobei viele Zivilisten ums Leben kamen. Im Juli 2005 brach in der Stadt Mahabad ein Aufstand gegen die iranische Regierung aus. Dieser breitete sich auf etwa zehn kurdische Städte aus. Die iranische Regierung bezeichnete die Aufständischen als Hooligans und verlegte 100.000 Soldaten in die kurdischen Gebiete.
Die iranischen Kurden sind mit fünf Millionen zwar nicht so stark vertreten wie in der Türkei, trotzdem kommt es im weitgehend schiitischen Iran immer wieder zu Zusammenstößen mit den größtenteils sunnitischen Kurden.
Enklave Chorasan
Chorasan ist eine historische Region in Zentralasien zwischen Nordost-Iran und Nordwest-Afghanistan im Gebiet der heutigen Staaten Afghanistan, Iran, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan.
In Chorasan leben zerstreut etwa 1 bis 1,5 Millionen Kurden. Diese wurden im 16. Jahrhundert von den Safawiden gegen die usbekischen Raubüberfälle in Chorasan angesiedelt. Es handelt sich vorwiegend um schiitische Kurden, die früher in Nordkurdistan und Aserbaidschan lebten.
Kurden im Irak (Autonome Region Kurdistan)
Zu einer begrenzten Selbstverwaltung und Beteiligung an der Regierung kam es im Irak 1970 bis 1974. Nach dem zweiten Golfkrieg 1991 verfügte die UNO im Irak eine Schutzzone nördlich des 36. Breitengrades. Im dritten Golfkrieg 2003 beteiligten sich kurdische Kräfte auf Seiten der USA an der Eroberung nordirakischer Städte. Seitdem genießen die irakischen Kurden einen besonderen Status als Verbündete der USA. Das Ziel der irakischen Kurden, mehr Autonomie und Einfluss zu bekommen, wird vor allem von der Türkei missbilligt, da man einen entsprechenden Einfluss auf die Kurden in der Türkei befürchtet.
Politische Autonomie genießen seit mehr als einem Jahrzehnt weltweit allein die irakischen Kurden. Auch die neue irakische Verfassung gewährt den Kurden im Norden des Landes umfangreiche Selbstbestimmungsrechte. Trotz Protesten seitens der Türkei konnten die Kurden im Irak ihren Einfluss ausweiten und erreichten bei der Wahl 2005 75 Sitze im Parlament und stellen mit Dschalal Talabani den ersten kurdischen Staatspräsidenten. Über die Angliederung von Gebieten an die kurdische autonome Region wird zäh verhandelt. Dabei ist Kirkuk der brisanteste Aspekt. Dort konnte eine Allianz der kurdischen Parteien die Mehrheit der Sitze im Stadtrat erringen.
Nach Angaben der Türkei wird das Nachbarland als Rückzugsgebiet für Extremisten genutzt. Die PKK, die unter anderem auch seitens der EU als Terrororganisation eingestuft wird, steuert von Nordirak aus Angriffe und Anschläge in der Türkei. Dabei sterben ebenfalls immer wieder türkische Soldaten, Polizisten, kurdische Dorfschützer und Unbeteiligte.
Kurden in Syrien
Die Grenze zwischen Syrien und der Türkei wurde durch den Verlauf der Bagdadbahnlinie festgelegt. Dadurch gab es in Syrien drei kurdische Enklaven, die Hunderte Kilometer voneinander getrennt liegen, wodurch die Kommunikation unter den Kurden erschwert wurde. Nach der Gründung Syriens unter französischem Protektorat (1920–1946) konnten die Kurden einen Rundfunksender betreiben und Zeitschriften veröffentlichen. Viele bedeutende Kurden sind von der Türkei nach Syrien geflohen, um ihre politischen Arbeit fortzusetzen. Nachdem Syrien ein souveräner Staat geworden war, wurden die Rechte der Kurden schrittweise beschnitten: Ausschluss aus dem öffentlichen Dienst, Verhaftungen, Änderung der kurdischen Ortsnamen. 1962 wurde in den kurdischen Gebieten eine außerordentliche Volkszählung durchgeführt. Dabei wurden 120.000 Kurden als Flüchtlinge deklariert und ihrer syrischen Staatsbürgerrechte beraubt. Im März 1963 übernahm die Baath-Partei die Herrschaft und 1971 wurde Hafiz al-Assad Präsident. Er gewährte der PKK nach dem Militärputsch in der Türkei von 1980 Zuflucht. Der Sturz von Saddam Hussein und der Baath-Regierung mit Hilfe der Kurden im Irak polarisierte auch Syrien. Die Baath-Regierung unter Baschar al-Assad (ab 2000) nutzte 2004 ein Fußballspiel als Provokation und Gelegenheit, um hunderte Kurden zu verhaften und die Parteien der Kurden zu verbieten. Heute haben immer noch rund 200.000 Kurden ihren Pass nicht zurück. Syrien begann erst im Jahre 2011 diese Ausbürgerung teilweise rückgängig zu machen. Im Zuge des syrischen Bürgerkrieges gründeten die Kurden 2013 in einigen Siedlungsgebieten drei Kantone, die gemeinhin unter Rojava bekannt geworden sind.
Rotes Kurdistan
In der ehemaligen UdSSR gab es in dem Zeitraum von 1923 bis 1929 eine autonome kurdische Region, Kurdistana Sor (Rotes Kurdistan). Sie lag im heutigen Aserbaidschan. Die Region lag zwischen Armenien und der Exklave Berg-Karabach. Die Amtssprache des Roten Kurdistans wurde Kurmandschi. Ein Versuch, sie 1992 mit der Ausrufung der Kurdische Republik Latschin wieder zu gründen, scheiterte am Zerfall der Sowjetunion. Der Krieg 1994 zwischen Armenien und Aserbaidschan vertrieb die meisten Kurden aus diesem Gebiet.
Libanon
Seit Jahrhunderten lebten im Libanon Kurden, meist um Tripoli und der Festung Krac. Sehr oft waren sie als Flüchtlinge hierher gekommen, so auch wiederum 1925. Viele Kurden im Libanon sind aus der Region Mardin im Südosten der Türkei zugewandert. Heute sollen etwa 60.000 Kurden im Libanon leben. In der Bekaa-Ebene im Libanon konnte die türkische PKK ihre Leute ausbilden und bewaffnen.
Kurden im deutschsprachigen Raum
Ihre Anzahl in Deutschland, der Schweiz und Österreich ist in den amtlichen Statistiken nicht erfasst, aber Schätzungen zufolge wohnen inzwischen über eine Million Menschen kurdischer Abstammung im deutschsprachigen Mitteleuropa.
Kurdische Migranten, fast ausschließlich Männer, kamen zunächst als Arbeitsmigranten (Gastarbeiter) nach Mitteleuropa. In den 1960/1970er Jahren schätzte man, dass ein Drittel der türkischen Gastarbeiter Kurden waren. Relativ viele Kurden kamen seit der islamischen Revolution 1979 im Iran, dem Militärputsch 1980 in der Türkei, während des Libanonkrieges (1982), dem Türkei-PKK-Konflikt (1984), sowie nach den Übergriffen des Regimes Saddam Husseins im Irak (vor allem nach dem Giftgasangriff 1988 auf Halabdscha ) als Asylbewerber nach Mitteleuropa. Den Höhepunkt der Asylbewerberwelle bildeten die späten 1990er Jahre. In dieser Zeit kamen ca. 80 Prozent aller türkischen Asylbewerber aus den Kurdengebieten. Ein Drittel bis über die Hälfte der Flüchtlinge aus dem Irak, die seit Ende der neunziger Jahre in den deutschen Sprachraum kamen, waren Kurden.
Unter Kurden sind verschiedene Religionen und Glaubensrichtungen vertreten. Die Mehrheit der Kurden sind Anhänger der sunnitischen Glaubensrichtung des Islams, Daneben finden sich Aleviten, Jesiden, Yarsan, Christen und Juden.
Das Bewusstsein der Kurden in der mitteleuropäischen Diaspora, einer anderen Ethnie als der türkischen anzugehören, nahm mit den politischen Spannungen in den Kurdengebieten in der Türkei sowie dem wachsenden Zustrom türkischer Flüchtlinge und Asylbewerber zu. Das Leben in der deutschsprachigen Diaspora setzt Impulse für die Entwicklung der kurdischen Schriftsprache, der kurdischen Literatur und Musik. Andererseits kann es zwischen jüngeren Kurden und ethnischen Türken teils zu – auch gewalttätigen – Auseinandersetzungen kommen.
Viele Kurden waren und sind Flüchtlinge. Bislang sind die Bemühungen um einen kurdischen Staat auch daran gescheitert, dass die Kurden untereinander zerrissen sind. Es fehlte das gemeinsame nationale Gefühl. Vielleicht ändert sich das jetzt?