Terroristen brauchen Öffentlichkeit. Im stillen Kämmerlein Touristen, Journalisten, „Ungläubige“ zu enthaupten oder zu erschießen, bringt kaum den gewünschten Effekt, der da lautet: weltweit Angst und Schrecken zu verbreiten, um die eigene Macht zu vergrößern und weitere Anhänger zu gewinnen. Ohne Berichterstattung kein – falscher – Ruhm, ohne ständige Liveticker zu jedem neuen Attentat wäre zumindest weniger Stilisierung zu „Helden“ innerhalb der Terroristen-Szene möglich. Je mehr Berichterstattung über terroristische Anschläge stattfindet, desto mächtiger werden die Täter und Strippenzieher. Meinen sie.
„Die Qualität der medialen Behandlung eines Terroranschlags ist wesentlich. Es geht darum, zu informieren – ohne zu verherrlichen. Die Glorifizierung und die Terrorisierung sind die beiden Ziele des Attentäters.“ Das ist der Inhalt einer medialen Diskussion in Frankreich.
Die Zeitungen wollen keine Bilder von Attentätern mehr veröffentlichen. Aber heutzutage gibt es die sozialen Netzwerke. Der 25-jährige Kleinkriminelle, der im April westlich von Paris in Magnanville ein Polizistenpaar erstach, filmte sich bei der Geiselnahme minutenlang selbst, um das Video via Facebook gleich in Umlauf zu bringen. Auch vom Attentäter von Nizza, der 84 Menschen zu Tode gefahren hatte, zirkulierten bald Selfies von einer Probefahrt mit dem Lastwagen. Brauchen die Terroristen die Massenmedien noch? Selbst wenn diese sich also darauf einigen würden, überhaupt nicht mehr über Anschläge zu berichten, oder aber nur noch in kleineren Meldungen, so wie es etwa bei Selbstmorden der Fall ist, um keine Nachahmer zu inspirieren: Der Terror hat längst andere Wege gefunden, sich zu verbreiten.
Wenn nach einem erfolgten Mord gesagt wird, wer der Täter war, wie seine Geschichte lautete und wie er aussah, dann gibt man dem Verbrechen eine Resonanz. Macht man sich dadurch zum objektiven Verbündeten von IS? Soll man diese Individuen in den Schatten und das Nichts verweisen, wie vorgeschlagen wird?
Seit dem jüngsten Mord an einem Priester in der Normandie hat sich die Berichterstattung in Frankreich erstmals geändert. Nur wenige Medien zeigten eine Szene, in der die zwei Attentäter neben einer IS-Flagge ihre irren Bekennersprüche von sich geben. Werden in Zukunft weniger Bilder veröffentlicht werden? Manche wollen sogar auf die Nennung der Namen der Täter verzichten.
Die Welt besteht aber nicht nur aus Terroristen, und Medien sind nicht immer automatisch Handlanger von irgendwem, nur weil sie berichten. Mediennutzer möchten Bescheid wissen. Auch damit es kein so genanntes Herrschaftswissen gibt – in einem Krieg, der von Deutungshoheiten lebt. Die Medien sind angehalten, über Terror zu informieren. In welchem Ausmaß und Umfang, in welcher Form das geschieht, ist eine andere Frage.
Aber nach jedem neuen Terrorakt, vor allem den spektakulären und denen im eigenen oder Nachbarland, schnellen die Klickzahlen der Online-Nachrichtenseiten in die Höhe, und auch die Printmedien steigern in den darauffolgenden Tagen ihre Absatzzahlen. Auch das Fernsehen begegnet dem gesteigerten Zuschauerinteresse regelmäßig mit Sondersendungen. Das belegt auf der einen Seite das gesteigerte Informationsbedürfnis zum Zeitpunkt solcher Anschläge und den Wunsch nach Einordnung sowie Hintergrundinformationen.
Auf der anderen Seite zeigt es aber auch, dass die Medien sich durchaus darüber bewusst sind, dass schockierende Taten immer wieder eine Faszination des Bösen hervorrufen, die mit einer ausufernden Berichterstattung bedient werden kann. Und es gibt Trittbrettfahrer!
Nicht nur das Publikum, auch Wissenschaftler kritisieren regelmäßig Medien für ihre Berichterstattung zum Thema Terrorismus. Die einen meinen, Berichterstattung sei unverzichtbar für eine Demokratie – der Gefallen, den die Medien den Terroristen tun würden, fange da an, wo über die Nachricht hinaus das menschliche Leid der Opfer thematisiert würde. Andere kritisieren genau andersrum eine zu breite nachrichtliche Berichterstattung und fordern, anstelle über Taten und Täter fast nur noch über die Opfer und die politischen Hintergründe zu berichten.
Dass allerdings über Terrorismus gar nicht mehr berichtet werden sollte, ist eine naive Forderung. Sie steht der Freiheit der Presse, dem Informationsbedarf und -recht der Bürger, dem Wettbewerb unter den Medien und dem Zeitgeschehen entgegen.
Im Übrigen müssen wir uns immer bewusst machen, dass eine Angst schürende Darstellung in der Öffentlichkeit genau das Ziel ist, das Terroristen verfolgen. Vor diesen Karren perfider Stimmungsmache dürfen sich Medien nicht spannen lassen.
Terroranschläge in europäischen oder westlichen Metropolen können ungleich mehr mediale Aufmerksamkeit erzeugen, als vergleichbare Anschläge im Irak, in Afghanistan oder einem afrikanischen Staat. Selbst die Terroranschläge von Ankara und Istanbul verursachen in der westlichen Welt nicht annähernd das mediale Echo, wie die Anschläge in Brüssel oder Paris.
Journalisten und Medien müssen sich mit der Frage auseinandersetzen, ob und inwieweit ihre Berichterstattung geeignet ist, den Terrorismus noch zu befeuern. Darüber hinaus besteht die journalistische Verantwortung auch darin, Fakten einzuordnen und nicht nur Ängste zu schüren. Denn wie Angela Merkel sagt: Angst darf nicht unser Ratgeber sein!