Als der Europa Gedanke und wir noch jung waren!

Das war die Zeit, als Europa der 6 gegründet wurde, damals die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), ein Zusammenschluss europäischer Staaten zur Förderung der gemeinsamen Wirtschaftspolitik im Rahmen der europäischen Integration. Am 25.März 1957 wurde die EWG mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge durch Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande und die Bundesrepublik Deutschland gegründet.

Da sprangen die „Europa-Colleges“ aus dem Boden: es gab sie in Brüssel, wohl damals das renommierteste, aus dem viele Europa Politiker und Beamte hervorgingen, das Collège d’Europe. Es gab sie in Nancy, Centre Européen Universitaire! Man studierte auch am Bologna  Center der Johns Hopkins University.

Und wir Studenten waren begeistert und bewarben uns! Ich fuhr mit großen Hoffnungen und einem nach damaligen Standard großzügigem Stipendium nach Nancy und verbrachte dort ein faszinierendes Semester, 1956! Natürlich dominierten unter den Teilnehmern die Franzosen – auch von Outre-Mer und den ehemaligen Kolonialgebieten in Südostasien  (Französisch-Indochina). Viele Deutsche nahmen an den Kursen teil, aber es waren auch Polen dort, Jugoslawen, viele Niederländer, einige wenige Engländer, ein Südafrikaner (natürlich ein Weißer), eine Reihe von Italienern und Schweden, ein paar Spanier. Und ich halt als die einzige aus Österreich. Wir Mädchen waren eindeutig eine Minderheit. Wir wohnten auch getrennt von den jungen Männern, diese bezogen ihre Zimmer im so genannten Schloss mit prächtigem Park, wo auch eine Reihe von Veranstaltungen stattfand, wo es eine Mensa gab. Die Mädchen hatten ihre Bleibe in einem kleinen, einfachen „Hotel“, nicht weit vom Schloss, zwei von uns teilten sich ein Zimmer, Bad und Toilette am Gang. Zuerst teilte ich das Zimmer mit einer Italienerin, die aber krankheitshalber zurück nach Hause fahren musste, darauf mit einer recht resoluten Schwedin. Die größeren Gastvorlesungen, die auch Studenten anderer Fakultäten offen standen, fanden in einem historischen Gebäude auf der wunderschönen Place Stanislas, ein klassizistisches Ensemble, statt. Der Platz war eine der wichtigsten städtebaulichen Maßnahmen im Nancy des 18. Jahrhunderts; die Idee dazu stammt von Stanislaus I. Leszczyński, dem Herzog von Lothringen und ehemaligen König von Polen.

Aber nicht nur die Studenten kamen aus vielen Ländern, auch die Lehrenden, dennoch waren die meisten Franzosen, Gastvortragende eher aus den „EG-Ländern“. Gesprochen wurde nur französisch, da hatte ich anfänglich ein ziemliches Defizit. Etwas Französisch hatte ich mir nur in einem ungeliebten Freigegenstand in der Oberstufe etwas widerwillig „angeeignet“, ich hätte es nämlich vorgezogen Altgriechisch zu lernen, das erschien meinen Eltern wieder zu unpraktisch. Mein damaliger Berufswunsch war Archäologin gewesen, auch dagegen hatten die Eltern damals wahrscheinlich berechtigte Einwände vorgebracht: „was willst du später damit anfangen“? Dieses Gebiet ist dann nur ein Hobby geblieben. Verstanden habe ich die meisten Vorträge ja dann ganz gut, bei Diskussionen „bin ich bald ausgestiegen“ und im Gespräch war ich eher „behindert. Aber konsequenterweise habe ich mit niemand Deutsch gesprochen (die Deutschen habe ich aus dem Grund anfänglich gemieden) und nach relativ kurzer Zeit habe ich es geschafft „mitreden“ zu können: mein Ziel! Wenn auch holprig.

Das Curriculum war eher geisteswissenschaftlich orientiert. Ich erinnere mich, dass wir lange über Kosmopolitismus diskutiert haben, ein großer Schwerpunkt war auch die europäische (eher französische) Aufklärung. Hier hat einer unserer etwas älteren Kommilitonen aus Polen erheblich beigetragen, die jüngeren aus diesem damals kommunistischen Land waren eher dogmatisch ausgerichtet und wesentlich weniger gebildet. Der Kollege aus Jugoslawien hätte gerne etwas „konkretere“ Hilfestellung erwartet, er war im Justizdienst tätig.

Was nun die Zukunft anging: es wurde nicht nur die Politik beleuchtet, sondern es ging auch um wissenschaftliche Aspekte: damals hörte ich zu ersten Mal über künstliche Intelligenz . Ich war sofort fasziniert. Leider hörte ich zu diesem Thema bei meinem weiteren Studium in Österreich gar nichts, wie auch meine Ideen mit Ökonometrie (in meiner Doktorarbeit) kurz entschlossen zu streichen waren.

Es waren nicht nur die Vorträge, die uns faszinierten, es war auch genügend Zeit und Raum, um zu diskutieren und darüber zu reden, wie „die Zukunft“ aussehen würde. Vom universitären „Establishment“ in Nancy wurden die Studenten freundlichst aufgenommen, es wurden Willkommensveranstaltungen für uns ausgerichtet, damit wir möglichst viele „Einheimische“ kennen lernen konnten. Damit war auch gesichert, dass wir in Nancy „integriert“ waren. Sonntag zu Mittag waren wir alle bei verschiedenen Familien zum Essen eingeladen, man absolvierte dann gemeinsam mit der Familie den obligaten „Sonntagsspaziergang“.

Es blieb nicht nur bei Sonntagsspaziergängen: Nancy liegt ja Lothringen – Österreichern besonders naheliegend durch Franz von Lothringen, Gemahl der Maria Theresia. Wir erkundeten auch die nähere und weiter „Umgebung“, doch vielleicht dazu ein andermal.

Es war diese Verbindung aus gemeinsamer Geschichte, Gegenwart und Zukunft, die aus uns Teilnehmern dort so begeisterte Europäer machte. Wir sahen unsere Zukunft nur ein einem gemeinsamen Europa!

Als der Europa Gedanke und wir noch jung waren!

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