Meint Theresa May. Wirklich?
Wie Theresa May den Interessenkonflikt zwischen einem freien Zugang zum Binnenmarkt, den sich weite Teile der Wirtschaft wünschen, und der Begrenzung der Immigration aus den EU-Staaten lösen wird, ist noch unklar. Die EU pocht auf einen offenen Arbeitsmarkt, wenn die Briten vom Binnenmarkt profitieren wollen. May, die als Innenministerin die Migrationsbestimmungen für Nicht-EU-Bürger verschärfte, sieht aber die Einschränkung der offenen Grenzen als Auftrag aus der Brexit-Abstimmung. Sie will auch die Zukunft der EU-Bürger, die bereits in Großbritannien sind, als Verhandlungsmasse nutzen, was ihr sogar Kritik vonseiten der Brexit-Befürworter eingebracht hat.
Aber das ist jedenfalls nicht der einzige „Kriegsschauplatz“ von Frau May: ihr Land ist tief gespalten. Fast die Hälfte der Stimmbürger hat sich für einen Verbleib in der EU ausgesprochen. Bisher haben 4,1 Millionen Briten eine Petition unterschreiben, dass es ein weiteres Referendum geben solle. Denn die ältere Generation stimmte für eine Zukunft, die die Jüngeren nicht wollen. Durch die britische Gesellschaft gehen mehrere Risse: Nord gegen Süd, Jung gegen Alt, Arm gegen Reich, Globalisierungsverlierer gegenüber der metropolitanen Elite, die von diesen Teilen der Bevölkerung als abgehoben und unrepräsentativ empfunden wird.
In ihren ersten Statements hat Theresa May diese „Gräben“ angesprochen, sie wird sich auch der bisher Benachteiligen annehmen.
Nicht nur das Land ist gespalten, auch die Partei, der Frau May angehört: primär in Brexit Befürworter und Remain-Befürworter. May war zwar Teil des „Remain“-Lagers, hat sich aber während des Abstimmungskampfes nicht stark exponiert. Nach dem Referendum hat sie keinen Zweifel daran gelassen, den Brexit-Entscheid als Regierungschefin ohne Wenn und Aber umzusetzen. Damit kam sie dem „Leave“-Lager demonstrativ entgegen.
Sie hat bei der Wahl z.B. ihres Außenministers bereits ein Zeichen gesetzt: Boris Johnson, wobei sie ihm sehr geschickt Grenzen gesetzt hat.
Um einer Rezession zuvorzukommen wird May die Sparpolitik des bisher amtierenden Schatzkanzlers George Osborne nicht fortsetzen können, sondern im Gegenteil mit einer freigiebigeren Ausgabenpolitik gegensteuern müssen. Osborne ist nun auch zum Hinterbänkler geworden. Nach ihren Aussagen wird sie verstärkt in die Wirtschaftspolitik eingreifen im Sinne einer konservativen One-Nation-Politik, welche mehr für die Ärmeren in der Gesellschaft zu tun verspricht.
Vom Standpunkt der EU aus gesehen: Mit Großbritannien verliert die EU die Finanzhauptstadt der Welt, seine zweitgrößte Volkswirtschaft und das Land mit der drittgrößten Bevölkerung. Zudem ist es (zusammen mit Frankreich) einer von bislang zwei EU-Staaten mit Atomwaffen und Ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat. Die EU hat international künftig weniger Gewicht. Aber: Sie bleibt der wirtschaftsstärkste Staatenblock der Welt. Jedenfalls wird sich der Schwerpunkt der EU mehr in Richtung Mittel- und Osteuropa verlagern, und Deutschland wird eine neue Rolle übernehmen müssen.
Bei den Austrittsverhandlungen will sich Theresa May nicht hetzen lassen, sie wird den Antrag wahrscheinlich erst in einem halben Jahr stellen. Damit kann Zeit für Überlegungen und Planungen gewonnen werden, denn von diesen Verhandlungen hängt letztlich die wirtschaftliche Zukunft der Briten ab.
Der Austritt aus der Europäischen Union könnte Großbritannien bis Ende 2017 einen Rückgang seines Bruttoinlandsprodukts zwischen einem und 2,5 Prozent kosten. EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici sagte am Montag in Brüssel, nach vorläufigen Schätzungen dürfte sich der Rückgang des BIP in den übrigen 27 EU-Mitgliedstaaten zwischen 0,2 und 0,5 Prozent im gleichen Zeitraum bewegen. Diese Einschätzung sei keine offizielle EU-Prognose, betonte der französische Politiker. Die Brexit-Folgen könnten noch begrenzt werden, „wenn es uns gelingt, die Ungewissheit einzuschränken und eine angemessene politische Antwort zu geben“.
Ganz klar ist die Zukunft der City of London auch nicht, ob es Profiteure in Frankreich oder Deutschland geben wird. Auch der Fischfang in der Nordsee wird Teil der Verhandlungen werden müssen.
Aber was heißt Brexit eigentlich und wer entscheidet, nach welchen Regeln er abläuft? Um die Verhandlungen beginnen zu können, muss Großbritannien einen Antrag nach Art. 50 stellen: In Artikel 50 des EU-Vertrags ist seit 2009 zumindest in groben Zügen festgelegt, wie ein Staat aus der Union austreten kann:
- Schritt: Großbritannien informiert die Vertretung der EU-Staaten über seine Absicht, aus der Union auszutreten.
- Schritt: Die Staats- und Regierungschefs legen unter Ausschluss Großbritanniens Leitlinien für die Austrittsverhandlungen fest.
- Schritt: Die EU-Kommission oder ein anderes, von den Mitgliedsstaaten ernanntes Gremium handelt mit Großbritannien ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts aus. Dabei wird auch der Rahmen für die künftigen Beziehungen Großbritanniens zur Europäischen Union festgelegt.
- Schritt: Die EU-Staaten beschließen das Abkommen mit qualifizierter Mehrheit, nachdem zuvor das Europäische Parlament zugestimmt hat.
- Schritt: Wenn kein Abkommen zustande kommt und keine Fristverlängerung gewährt wird, scheidet Großbritannien zwei Jahre nach dem Einreichen des Austrittsgesuchs ungeregelt aus der EU aus.
Praktisch gesehen dürften die Briten versuchen, sich über ein umfassendes Freihandelsabkommen den Zugang zum Binnenmarkt zu sichern. Sie hoffen dabei auf ein „Gentlemen’s Agreement“, eine Trennung gütlicher Art. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker drohte aber schon: „Der Deserteur wird nicht mit offenen Armen empfangen.“ Hinter vorgehaltener Hand ließen EU-Politiker wissen, dass ein Exempel statuiert werden könnte. Ziel: Nachahmer abschrecken.
Aber unabhängig von all diesen Überlegungen spielt die Welt: Pokemon Go.