„Willkommen zum unmöglichsten Job der Welt“: Mit diesen Worten hat einst UN-Generalsekretär Trygve Lie (*1896; † 1968, von 1946 bis 1952 war er der erste offiziell ernannte Generalsekretär der Vereinten Nationen) seinen Nachfolger empfangen, Dag Hammarskjöld (*1905; † 1961 bei einem Flugzeugabsturz in Afrika). Da war aber die UN noch jung, und im Einklang mit der sie umgebenden politischen Welt. Die Wahl des UN-Generalsekretärs war bisher ein Fall geheimer Diplomatie. Wird das bei der Suche nach einem Nachfolger für Ban Ki Moon anders werden?
Die „Verfassung“ der Vereinten Nationen, UN-Charta, Kapitel XV, Artikel 9.7. sieht folgendes vor: „Der Generalsekretär wird auf Empfehlung des Sicherheitsrats von der Generalversammlung ernannt.“ Und da tritt nun das ganze Dilemma der UN zu Tage. Der zumeist in sich zerstrittene Sicherheitsrat „knobelt“ hinter verschlossenen Türen einen Kandidaten aus (Frauen hatten die Position bislang noch nie inne). Allen voran China, Frankreich, Russland, Großbritannien und die USA – also die Veto-bewehrten ständigen Mitglieder. Heraus kommt dann meist ein schwacher Kandidat, von dem die starken Mächte meinen, ihn – oder vielleicht doch sie – gut manipulieren zu können.
Ban Ki-moon (*1944 im damaligen Japanischen Kaiserreich, heute Südkorea) rechnete kurz vor Ablauf seiner Dekade als Generalsekretär mit seinen 193 Auftraggebern ab: Viele Mitgliedstaaten nähmen die UN durch Blockaden als Geisel – wenn sie nicht gleich Kriege wie den syrischen befeuerten und mit „blutigen Händen“ angereist seien. Der Generalsekretär hat im Grunde sehr wenig Macht und kann derartige Situationen bestenfalls bejammern. Unabhängig davon, wen die Vetomächte für Bans Nachfolge auswählen: Diese Ohnmacht endet nicht.
Als Erfolg kann sich Ban den Klimapakt von Paris gutschreiben. Die voriges Jahr fixierten Ziele für „nachhaltige Entwicklung“ markieren einen Fortschritt, selbst wenn das Konvolut von Vorgaben und Benchmarks das Prozesshafte daran geradezu quälend herausstellt. Die UN bilden ein Forum, in dem oft schon viel gewonnen ist, wenn die Staaten ihre kaum zu vereinbarenden Positionen klar darlegen müssen.
Am Megathema Flucht und Vertreibung ist auch Ban gescheitert. Große Teile der Welt bleiben für das menschliche Leid und die politische Verunsicherung blind, die aus der großen Entwurzelung entstehen. Ban ist verbittert, dass sich die Regierungen nicht verpflichten wollten, jährlich zehn Prozent aller Flüchtlinge umzusiedeln. Den anderen neunzig Prozent freilich hätte auch seine Wunschversion des Abschlussdokuments nicht geholfen – selbst dann, wenn sich die Staaten ausnahmsweise an ihre Zusagen gehalten hätten.
Als Ban sein Amt antrat, waren 80.000 UN-Soldaten im Einsatz, heute sind es 100.000. Umso populärer ist es, die UN zu vorbeugender Konfliktentschärfung anzuhalten. Alle Kandidaten für Bans Nachfolge bekennen sich dazu, weil es so gut klingt und niemanden ärgert. Doch auch der nächste Generalsekretär wird feststellen, dass den UN diplomatische Ressourcen genauso fehlen wie professionelle „Blauhelm-Soldaten“.
Die UN wäre dringend reformbedürftig. Sie reflektiert die Welt in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Damals gab es Alliierte – Siegermächte – und Besiegte. Heute gibt es aufstrebende Staaten, die eigentlich wesentlich mächtiger sind, als manche „Vetomächte“ im UN Sicherheitsrat. Aber bei der UN wird meist nur der größte gemeinsame Nenner gesucht. Der ist aber meistens sehr klein. Um diese Probleme möglicherweise zu lösen schufen die Gründerväter der UN den Sicherheitsrat. Aber dort ist man uneins. Amerika und Russland überziehen einander im Syrien-Streit mit Vorwürfen und degradieren den Rest der Runde zu Statisten. Darum sind auch zwischenzeitlich verschiedene Gremien entstanden, die die eigentlichen Aufgaben der UN wahrnehmen, sei es die G7/G8-Gruppe oder seien es G20. Diese Gruppierungen reflektieren die Machtverhältnisse dieser Welt besser, als die „verstaubte“ UN.
Eine Trendwende ist nicht in Sicht. In New York werden nicht viele Leute Ban Ki-moon nachtrauern. Aber wenn Amerika und Russland nicht bald einmal mehr zur punktuellen Kooperation bereit sind, ist die Angst vor einer Rückkehr des Kalten Kriegs berechtigter denn je zuvor.
Zwölf Kandidaten stehen diesmal zur Auswahl. Er ist der aktuelle Favorit: António Guterres. Der ehemalige Ministerpräsident Portugals erhielt in einer ersten inoffiziellen Abstimmung die meisten positiven Stimmen. Laut Weltsicherheitsrat liege der slowenische Ex-Präsident Danilo Türk auf Platz zwei, gefolgt von der Unesco-Chefin Irina Bokowa. Die kroatische Ex-Außenministerin Vesna Pusic habe am schlechtesten abgeschlossen, das heißt aber noch nichts: sie ist Osteuropäerin, nach dem ungeschriebenen Regionalprinzip der UN kommt sie damit in die engere Auswahl. Als Frau nach 70 Jahren Männerherrschaft auch.
Aber diesmal wird es bei der Wahl doch ein wenig anders zugehen. Ganz so frei ist der Sicherheitsrat diesmal nicht: Die Generalversammlung hat sich unerwartet eingemischt, dank ihres aktuellen Präsidenten. Das ist Mogens Lykketoft, angetreten Mitte vergangenen Jahres. Zugleich aber ist der Däne als ehemaliger Finanz- und Außenminister seines Landes ein erfahrener Politiker und macht von Anfang an klar: Er will mehr Offenheit, mehr Transparenz! Mitgliedsländer sollten ihre Kandidatinnen und Kandidaten schriftlich vorschlagen, nicht nur dem Sicherheitsrat, sondern auch der Generalversammlung. Die werden dann zu einem so genannten „informellen Dialog“ eingeladen – die diplomatische Formulierung für eine öffentliche Vorstellungsrunde.
Dennoch beginnen nun die geheimen Verhandlungen mit einer inoffiziellen Probeabstimmung im Sicherheitsrat, natürlich hinter verschlossenen Türen. Alle ständigen Mitglieder können nein sagen. Trotz aller Transparenz: Die Entscheidung fällt hinter den verschlossenen Türen des Sicherheitsrates. Das wird bleiben, solange die UN-Charta unverändert bleibt. Nur mit Zustimmung aller fünf ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat kann sie geändert werden.
Und hier beißt sich die Katze wiederum in den Schwanz!