Eines wünsche ich mir auch in diesem Zusammenhang nicht wieder: ein fertig verhandelter EU-Vertragsteil über eine Europa-Armee und Österreich kommt in letzter Minute drauf, dass es Vertragsänderungen benötigt. Wenn, sollten wir uns schon zu Beginn einer diesbezüglichen Debatte überlegen, was wir von einer solchen initiativer erwarten. Ja, und ich wünsche mir eine Diskussion innerhalb der Zivilgesellschaft – und nicht zwischen den Gratisblättern!
Gemeinsame Währung, gemeinsamer Binnenhandel, gemeinsame Außenpolitik – nur in Sachen Verteidigung hat jedes europäische Land sein eigenes Militär. Angesichts der derzeitigen Weltlage ist die Idee einer Europa-Armee wieder aufgenommen worden und hat damit eine Kontroverse über den Nutzen einer derart weitreichenden Integration europäischer Streitkräfte ausgelöst. Briten – nach Brexit – sind gegen die Europa-Armee, da diese – ihrer Meinung nach – die NATO schwächen würde.
Noch sind aber viele Fragen nicht entschieden, wie z.B.:
- Bezieht sich die Europa-Armee nur auf die Europäische Union oder auf Europa insgesamt?
- Soll die Europa-Armee aus nationalen Streitkräften bestehen oder geht es um eine kleine Streitmacht, die von einem der Organe der EU – etwa der Kommission – aufgestellt und finanziert wird und diesem untersteht?
- Soll die Europa-Armee die einzige in der EU existente Streitmacht sein oder soll es neben einer gemeinsamen Armee auch weiterhin nationale Streitkräfte für nationale Aufgaben geben?
- Wer entscheidet über den Einsatz der Europa-Armee – ist es der Europäische Rat, die Kommission oder das Europaparlament? Welche Rolle sollen die nationalen Parlamente haben?
- Welche Aufgaben soll eine Europa-Armee erfüllen? Wäre sie ein Instrument zur militärischen Intervention in Krisen in Europas Nachbarschaft oder soll sie auch dem Zweck der Landes- und Bündnisverteidigung dienen? Letzteres wird derzeit der NATO überlassen, während sich die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (GSVP) auf das Krisenmanagement konzentrieren soll.
- Wie soll die gemeinsame Streitmacht finanziert werden? Sollen die Mitgliedsstaaten die Hauptlast tragen und auch die Kosten für die Einsätze finanzieren oder soll die EU über ein eigenes Budget für solche Zwecke verfügen?
- Soll es ein europäisches Beschaffungswesen geben? Wer wird über Ausschreibungen für Rüstungsgüter entscheiden? Welche Rolle die European Defence Agency (EDA) einnehmen?
- Und was soll mit den (britischen und) französischen Nuklearstreitkräften geschehen? Sollen sie unter nationalem Kommando bleiben oder sollen sie einer europäischen Entscheidungsautorität unterstellt werden?
Was spricht für eine Europa Armee?
- Europa kann sich immer weniger darauf verlassen, dass amerikanische Truppen bereitstehen werden, Probleme der Europäer zu lösen..
- Nationale Kleinarmeen sind gegenüber heutigen Bedrohungslagen ineffizient, unbrauchbar und überfordert
- Die Probleme in der Ukraine, im Nahen Osten, Nordafrika oder andernorts vor Europas Haustür sind nicht mehr durch kleinteilige nationale Lösungen zu bewältigen.
- Unbemannte Drohnen verdrängen Kampfpiloten, Roboter ersetzen Frontsoldaten. Daher sind satellitenunterstützte Leitsysteme, digitalisierte Kommunikationswege und eine hochleistungsfähige Logistik erforderlich.
- Das Konzept einer Europa-Armee wäre ein Schritt in Richtung zu einer politischen Union. Damit würde man der europäischen Idee einen Schub verleihen. Und das wäre auch ein klares Signal gegen außen (z.B. Rußland)
- Es käme zu einer Bündelung der militärischen Fähigkeiten: also einem „Pooling and Sharing“. Redundanzen auf allen Ebenen könnten vermieden werden.
- Die europäischen Verteidigungsausgaben könnten effizienter verwendet werden. Das Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Zwar geben die 28 EU-Länder insgesamt jährlich 190 Milliarden Euro aus. Die Fähigkeiten der EU-Streitkräfte entsprechen aber nur 10 bis 15 Prozent der Leistungsfähigkeit des amerikanischen Militärs. Das reicht für eine zeitgemäße, nachhaltige Modernisierung in keiner Weise. Umso wichtiger, wenigstens aus dem Verfügbaren das Beste zu machen.
- Eine auch militärisch gestärkte Europäische Union könnte in der künftigen multipolaren Welt einen ernst zu nehmende Kraft werden, die neben wirtschaftlichem auch militärischen Einfluss geltend machen könnte.
- Je nach Ausgestaltung wäre eine Europa-Armee ohne weiteres mit den Strukturen der NATO kompatibel und würde damit die transatlantischen Bindungen eher stärken als schwächen. Eine NATO-kompatible Europa-Armee könnte der langjährigen Forderungen der USA nach mehr „Burden Sharing“ Rechnung tragen.
- Gemeinsame Streitkräfte könnten die EU-Mitglieder veranlassen, ihre nationalen Entscheidungsprozesse zu harmonisieren, um so die Reaktionsfähigkeit zu erhöhen.
Und was spräche gegen eine Europa Armee?
- Eine Europa-Armee setzt einen Grad der Integration und des Föderalismus voraus, über den die EU nicht verfügt und den viele Mitglieder nicht akzeptieren werden..
- Wenn eine Europa-Armee parallel zu den nationalen Streitkräften geschaffen würde, ginge dies zu Lasten der ohnehin unterfinanzierten nationalen Streitkräfte. Das Ergebnis wäre ein noch schwächeres europäisches Militär.
- Osteuropäische Länder meinen, dass angesichts der neuen Aggressivität Russlands die Bindungen zu den USA nicht geschwächt werden dürften.
- Eine Europa-Armee ist – wenn überhaupt – nur in ferner Zukunft vorstellbar.
- Statt eine Europa-Armee zu diskutieren, sollte die konkrete militärische Kooperation voran getrieben werden.
- Mit der NATO, der ja auch die große Mehrzahl der EU-Staaten angehört, gibt es bereits ein funktionierendes Beispiel integrierter militärischer Schlagfähigkeit. Die NATO hat in den vergangenen Jahren ihre Strukturen so flexibel gestaltet, dass sie in unterschiedlichen Zusammensetzungen militärisch handeln kann. Es ist deshalb möglich, dass nur europäische Staaten oder nur EU-Mitglieder im Rahmen der NATO militärische Operationen durchführen.
- Die derzeitige Situation ist ausreichend: Die NATO konzentriert sich auf die militärische Abschreckung Russlands, um eine Ausdehnung des Konfliktes auf NATO-Territorium zu vermeiden. Die EU versucht hingegen, mit ihrem breiten Spektrum an Handlungsmöglichkeiten die Krise zu entschärfen und Russland zu einem weniger aggressiven Verhalten zu bewegen.
- Militärische Kriseninterventionen dürften in Zukunft wenig Chancen haben. Es hat sich eine Interventionsmüdigkeit eingestellt. Interveniert wird künftig bestenfalls von „Coalitions of the Willing“. Damit verliert eine Streitkraft der EU einen Teil ihrer Berechtigung.
Es ist ein weiter Weg zu einer Europa-Armee. Überlegen wir rechtzeitig unsere Standpunkte und artikulieren sie entsprechend in den EU-Gremien.