Der große und der kleine Dschihad

Viel ist derzeit die Rede vom Großen und vom Kleinen Dschihad. Besonders bei Jugendlichen, die vielleicht – angeregt durch das Internet – sich vom sogenannten Islamischen Staat instrumentalisieren lassen könnten.

Der Begriff Dschihad (Anstrengung, Kampf, Bemühung, Einsatz) bezeichnet im religiösen Sinne ein wichtiges Konzept der islamischen Religion, die Anstrengung/den Kampf auf dem Wege Gottes. Im Koran und der Sunna bezeichnet dieser Begriff primär militärischen Kampf. Aus dem Koran geht nicht eindeutig hervor, ob es sich dabei um einen universellen Kampf gegen Andersgläubige handelt oder dieser Kampf nur defensive Ziele verfolgt.

Nach klassischer islamischer Rechtslehre (Fiqh), deren Entwicklung in die ersten Jahrhunderte nach dem Tode Mohammeds erfolgt ist, dient dieser Kampf der Erweiterung und Verteidigung islamischen Territoriums, bis der Islam die beherrschende Religion ist. Im Zuge der Entwicklung des islamischen Rechts in den ersten Jahrhunderten nach dem Tode des Propheten haben muslimische Rechtsgelehrte die Doktrin des Dschihad ausgearbeitet. In seiner späteren Entwicklung sowie insbesondere im Zuge der Moderne haben muslimische Gelehrte begonnen, nichtmilitärische Aspekte dieses Kampfes zu betonen. Dies geschah zu Zeiten tiefgreifender politischer Veränderungen wie der Kolonialisierung großer Teile der islamischen Welt, der Aufhebung des Kalifats und der Entwicklungen der Moderne.

Einzelne schiitische Theologen der klassischen Zeit unterschieden zwischen dem sogenannten größeren Dschihad im Sinne eines spirituellen Kampfes gegen innere Gelüste und dem kleineren Dschihad im Sinne einer militärischen Konfrontation gegen einen äußeren Feind. Das ist auch die Grundlage der nichtmilitärischeren Aspekte der Dschihad Pflicht gegenwärtiger muslimischer Autoren, als auch muslimischer Asketen und Mystiker.

Muslimische Autoren der Moderne sehen ausschließlich solche Kriege als legitim an, die der Verteidigung islamischer Staaten, der Freiheit der Muslime, den Islam außerhalb dieser zu verkünden, und dem Schutz der Muslime unter nichtislamischer Herrschaft dienen.

Dennoch stellt der Dschihad als eines der Grundgebote des islamischen Glaubens und eine allen Muslimen auferlegte Pflicht ein wichtiges Glaubensprinzip des Islam dar. Manche islamische Gelehrte rechnen den Dschihad als sechste zu den „fünf Säulen des Islams“.

Die gängige Definition des „Dschihad“ in den jeweiligen Rechtswerken ist „sich so sehr anzustrengen, wie es einem möglich ist“, während man die Pflicht zum Dschihad im rechtlichen Sinne als Kampf gegen die Ungläubigen verstanden hat. Von der großen Mehrheit der klassischen muslimischen Theologen, Juristen wurde „Dschihad“ im militärischen Sinne verstanden.

In der islamischen Rechtsprechung stellt der Dschihad die einzig zulässige Form eines Krieges gegen Nichtmuslime dar. Neben dem Kampf gegen die Ungläubigen ist ein Krieg gegen vom Islam Abgefallene, Aufrührer und Fahnenflüchtige sowie Straßenräuber legitim. Als Dschihad im Sinne einer religiösen Pflicht gilt nur der Krieg gegen Nichtmuslime und Apostaten. Als unmittelbares Ziel des Dschihad galt die Stärkung der islamischen Religion, der Schutz der Muslime und die Beseitigung des Unglaubens auf der Welt mit dem Ziel einer islamischen Vormachtstellung auf dem gesamten Globus. Unter den Nichtmuslimen sind die Polytheisten zu bekämpfen, bis sie den Islam annehmen; die Schriftbesitzer (Juden und Christen) haben neben der Möglichkeit zur Konversion auch das Recht, mit dem muslimischen Herrscher einen Dhimma-Vertrag zu schließen. (Siehe meinen Blog vom 15.9. 2017. „Hinter den Kulissen des Osmanischen Reiches“)

Die klassische islamische Völkerrechtslehre verbot zudem – auch auf Basis von Koranversen beziehungsweise Prophetensprüchen – bestimmte Taten während der Kampfhandlungen, darunter die Tötung von Nichtkombattanten wie Frauen, Kindern oder Mönchen (sofern sie sich nicht am Kampf beteiligen), die Verstümmelung sowohl menschlicher als auch tierischer Leichen, Vertragsbruch, die unnötige Zerstörung fremden Guts sowie die Tötung von Geiseln.

Oft wird in Westen wird der Begriff mit dem Ausdruck „Heiliger Krieg“ übersetzt. Dem entgegnen muslimische Autoren, dass Dschihad nicht nur Kriegsführung bezeichne, es nichtmilitärische Bedeutungen des Dschihad Begriffs gebe und sehen deshalb eine derartige Übersetzung als falsch an und lehnen sie ab.

Der (große) Dschihad wird auch folgendermaßen eingeteilt:

  • Den Dschihad des Herzens als innerer, spiritueller Kampf gegen Untugend, Verführung zu moralisch verwerflichen Taten und Ignoranz.
  • Den verbalen Dschihad durch das ständige Sprechen der Wahrheit und die Verbreitung des Islams auf friedlichem Wege. Hierzu gehört auch das öffentliche Sprechen der Wahrheit unter einem ungerechten Herrscher.
  • Den Dschihad durch Taten, d. i. durch richtiges moralisches Verhalten: Das Rechte gebieten und das Verwerfliche verbieten.
  • Den Dschihad des Schwertes, als militärischer Kampf auf dem Wege Gottes.

Mit diesem Verständnis richtet sich der Dschihad gegen das eigene Ich. Die Durchsetzung der Anweisung, das Rechte zu gebieten und das Verwerfliche zu verbieten, geschieht „mit der Zunge, mit der Hand und mit dem Schwert, je nachdem, wozu man imstande ist“. Asketen sehen im Kampf gegen sich selbst das höchste Ideal.

Aber es gibt auch die andere Seite und die wird von einer Mehrheit unterstützt: Bei vielen Terroranschlägen der jüngsten Vergangenheit rechtfertigten die Attentäter ihr Handeln mit dem Verweis auf den „Dschihad“. Mehrere islamistische Organisationen führen das Wort Dschihad in ihrem Namen, wie zum Beispiel Islamischer Dschihad und Al-Dschihad. Diese Gruppierungen rechtfertigen ihre militärische Auslegung des Begriffs Dschihad auch aus dem islamischen Glauben heraus. Selbstmordattentäter werden dabei als Schahīd-Märtyrer bezeichnet, denen ein Platz im Paradies sicher ist. An sich gilt Suizid im Islam als Sünde, die im Jenseits mit der endlosen Wiederholung des Moments des Todes bestraft wird.

Der Internationale Islamische Gelehrtenrat, der nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 Stellung zu islamistisch-extremistisch motivierter Gewalt bezog, verurteilte in dem Manifest von Mekka „Extremismus, Gewalt und Terrorismus“, beteuerte, dass diese „nicht im Geringsten zum Islam gehören“ und hielt fest: „Dschihad ist kein Terrorismus.“

Für junge abenteuerlustige Männer ist der Dschihad als Kampf gegen Feinde des Islam viel attraktiver als der Kampf gegen das eigene Ich.  Und solange dies gilt, werden wohl auch die Terroranschläge bzw. Versuche dazu nicht aufhören.

Der große und der kleine Dschihad

Ein Gedanke zu “Der große und der kleine Dschihad

Hinterlasse einen Kommentar