Terrorismus der Siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts

Wir glauben, dass wir in bedrohten Zeiten leben. Es werden rundherum Maßnahmen gegen terroristische Anschläge gesetzt. Derzeit sind z.B. Poller sehr in Mode. In anderen Ländern wird jahrelang der Ausnahmezustand verhängt. Wir in Österreich sind bisher recht günstig weggekommen, wenn man von den Anschlägen in den 80er Jahren absieht.

Aber in Europa ist schon früher der Terror umgegangen, nämlich der heimische Terror – ich denke dabei an die Rote-Armee-Fraktion in Deutschland oder die Roten Brigaden in Italien.

Und im Rahmen dessen gab es einen „runden“ Jahrestag: Die Nacht zum 18. Oktober 1977 wird als Todesnacht von Stammheim (die Justizvollzugsanstalt Stuttgart befindet sich im Stuttgarter Stadtteil Stammheim) bezeichnet. Die Anführer der terroristischen Vereinigung Rote-Armee-Fraktion (RAF), Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, sterben in ihren Gefängniszellen in Stuttgart durch Selbstmord. Das Ereignis war der Schlusspunkt des Deutschen Herbstes mit einem der längsten und schwierigsten Prozesse in der Geschichte der Bundesrepublik ohne ein rechtskräftiges Urteil.  Dabei versuchte die zweite Generation der RAF (den Kern der zweiten RAF-Generation bildeten anfangs Baaders Anwalt Siegfried Haag, nach dessen Verhaftung Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar) die inhaftierten Terroristen der ersten Generation (Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof) freizupressen. Es stand in engem Zusammenhang mit der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und der Entführung des Flugzeugs «Landshut». Schleyer wurde am 18. Oktober als Reaktion auf den Tod der Häftlinge in Stuttgart von der RAF ermordet. Im Zusammenhang mit der Entführung von Hanns Martin Schleyer (* 1915; † 18. Oktober 1977 an unbekanntem Ort im Grenzgebiet von Frankreich zu Belgien war ein deutscher Manager und Wirtschaftsfunktionär. Von 1973 bis 1977 war er deutscher Arbeitgeberpräsident und seit 1977 Vorsitzender des Bundesverbandes der Deutschen Industrie) wurden im deutschen Fernsehen erstmals Ausschnitte aus einem Video, die den Entführten in seinem Versteck zeigten ausgestrahlt. Die Stimme der Geisel und die bewegten Bilder waren für die Fernsehzuschauer neu und erschütterten die Menschen nicht nur ein Deutschland. Im Rückblick werten Experten diese Aufnahmen als „Quantensprung in der Geschichte der terroristischen Kommunikation“. Mit der medialen Inszenierung des Schreckens wollten und wollen Terroristen möglichst großen Widerhall in der Öffentlichkeit finden. Dank Videoaufnahmen blieb die Entführung und Ermordung Hanns Martin Schleyers stärker als andere RAF-Taten (Die linksextreme „Rote-Armee-Fraktion“ verbreitete mit Banküberfällen, Mordanschlägen und Sprengstoffattentaten mehr als 20 Jahre lang Angst und Schrecken in Westdeutschland. Die Terroristen ermordeten mehr als 30 Menschen) im Gedächtnis. Der IS verfolgt heute die gleiche Medienstrategie mit anderen Mitteln.

Statt Krawatte und Anzug trägt der Manager das offenen Sakko auf der nackten Haut. Das Photo wirkt, als wollten die Kidnapper nicht nur die Geiselnahme, sondern die völlige Entmachtung von Hanns Martin Schleyer demonstrieren. Bis heute sind diese Aufnahmen unvergessen, die den entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer vor dem Logo der Rote-Armee-Fraktion  zeigen und dessen ganze Hilflosigkeit ausdrücken.

Nach einer kurzen Nachrichtensperre gelangten nicht nur diese Fotos, sondern auch erstmals mehrere Videos an die Öffentlichkeit, die den entführten Schleyer in seinem Versteck zeigten. Zehn Tage nach der Entführung Schleyers, dessen Tag der Ermordung sich am 18. Oktober jährt, wurden erstmals Ausschnitte eines solchen Videos ausgestrahlt. Sie gehören bis heute zur Ikonografie des deutschen Terrorismus.

Die Erinnerung an den Deutschen Herbst und den Terrorismus der RAF wirft auch kritische Fragen zum heutigen Verhältnis von Medien und Terrorismus auf. Denn die Inszenierung des Schreckens war und ist Teil einer gezielten Kommunikationsstrategie, mit der Terroristen möglichst großen Widerhall in der Öffentlichkeit finden wollen. Als führende RAF-Aktivistin war Ulrike Meinhof selbst Journalistin, und auch Holger Meins studierte Film und Design, bevor er in den Untergrund ging.

Es gab ein dichtes Netz an Kontakten in die Medienszene zu Journalisten, Künstlern, Schriftstellern, Verlegern und Designern. Auch das RAF-Logo soll unter Mitwirkung eines Werbegrafikers entstanden sein. Schon damals ging es darum, eine Marke zu werden mit einem Logo und einem coolen Image. Neben einer intensiven Beschäftigung damit, wie Medien wirken, gab es bei der RAF auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Mediensystem und dessen «kapitalistischen Strukturen». Die RAF zielte noch auf traditionelle Medien ab, konzentrierte sich vor allem auf die Nachrichtenagenturen, die Presse und das Fernsehen, weil diese damals die Nachrichtenwelt noch maßgeblich bestimmten.

Auch für al-Qaida waren internationale TV-Sender zentral, und das Attentat vom 11. September 2001 war vermutlich ein letztes Großereignis des «Fernseh-Terrorismus». Mit dem Internet kam eine Zäsur, denn der IS mit seinem Terror ist vor allem online aktiv und nutzt moderne Technologien und soziale Medien für seine Zwecke.

Während die RAF Kopien von Videobändern und Polaroidbilder an Redaktionen sandte oder Bekennerschreiben verbreitete, haben die Terroristen von heute längst die ganze Medieninszenierung selbst in die Hand genommen und gehen direkt ins Internet. Der IS ist technologisch auf dem neuesten Stand, erstellt Webvideos und benützt Dienste wie Instant Messenger, Whatsapp, Twitter und Facebook. Vor allem die visuelle Ebene ist dabei entscheidend.

Der IS setzt in seiner Kommunikationsstrategie auf eine doppelte Publizität. So werden im Internet einerseits möglichst virale Inhalte veröffentlicht, die sich online überdurchschnittlich schnell und weit verbreiten lassen. Mit der erneuten Aufbereitung dieser Inhalte durch die herkömmlichen Medien wird ein zweiter Effekt erzielt. Erst durch dieses Echo könnten sich Breitenwirkung und Deutungsmächtigkeit der IS-Botschaften so entfalten, dass via Informationspolitik der Terroristen eine internationale Öffentlichkeit erreicht werde. In vielen Redaktionen wird deshalb seit Jahren intensiv darüber diskutiert, wann Journalisten als glaubwürdige Vermittler von Informationen berichten müssen und wann sie sich von der Terrorpropaganda instrumentalisieren lassen. Einfache Antworten darauf gibt es in der modernen Nachrichtenwelt nicht.

Es gibt auch erkennbare Unterschiede zwischen dem medialen Umgang mit der RAF und jenem mit dem IS. Während die Berichterstattung über die RAF sehr stark personalisierte und sich vor allem auf Einzelpersönlichkeiten wie Meinhof, Baader und Ensslin konzentrierte, sind die Gesichter des IS in der europäischen Öffentlichkeit praktisch unbekannt. Das war bei al-Qaida und Osama bin Ladin noch anders.

Also hoffen wir, geschützt durch Poller auf ruhige Zeiten!

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