Heute besuchte ich das Grab am Zentralfriedhof. Ein schöner Tag, nicht zu heiß, es hat auch nicht geregnet. Und für mich ist es einfach, zum Zentralfriedhof zu gelangen, auch wenn ich kein Auto habe. Ich hab‘ ja den 71er. An diesem Samstag (nur heute?) hatte er lange Intervalle, also 10 Minuten, aber schließlich habe ich es nicht eilig. Sitzplätze gab’s auch genug. Also rollte ich über den Rennweg. Sehr viel Aufmerksamkeit widmete ich der Umgebung nicht – das werde ich vielleicht ein anderes Mal machen. Wieder einmal wurde mir klar, wie groß Simmering eigentlich ist – einer der Wiener so genannten “Flächenbezirke“. Dabei dachte ich an Johann Holzer. Johann Holzer trat bereits 1923 der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) bei und war bis 1934 aktiv im Republikanischen Schutzbund tätig. Nach dem Februar 1934 war er in politischer Haft. Nach 1945 war er als Gewerkschafter und Kommunalpolitiker (Bezirksrat in Simmering) tätig. Beruflich war er zuletzt Generaldirektor-Stellvertreter der Creditanstalt. Es war ein Chef, der all Neueintritte zu sich lud, und mit ihnen über ihre Zukunft in der Bank sprach. Er war ein ruhiges Pendant zu dem lebhaften Heinrich Treichl, dem Generaldirektor. Er hatte sich ein Haus in Pernitz gebaut, wo wir, mein Mann und ich, des Öfteren bei ihm zu Gast waren. Er und seine Frau waren sehr eng verbunden und äußerst liebenswerte Menschen. Sie sangen gemeinsam, sie spielte Ziehharmonika.
So lange hat die Fahrt dann auch nicht gedauert. Dieser Zentralfriedhof ist schon groß – 3 Straßenbahnhaltestellen lang. Er wurde 1874 eröffnet und zählt mit einer Fläche von fast 2,5 km² und rund 330.000 Grabstellen zu den größten Friedhofsanlagen Europas. Die 1784 von Kaiser Joseph II. verfügten „Josephinischen Reformen“ hatten nachhaltige Auswirkungen auf das Wiener Bestattungswesen. Bestattungen selbst sollten möglichst sparsam und funktionell gestaltet werden, Schachtgräber und mehrfach verwendbare Klappsärge sind nur zwei Beispiele für diese kaiserlich verordneten Sparmaßnahmen. Das hat den Wienern natürlich gar nicht gefallen. 1863 beschloss der Wiener Gemeinderat die Errichtung eines Zentralfriedhofs, weit außerhalb der Stadt, der so großflächig sein sollte, dass seine Aufnahmekapazitäten nie oder zumindest erst in ferner Zukunft ihre Grenzen erreichen sollten. Gleichzeitig wurde die bisherige alleinige Zuständigkeit der Kirche für Begräbnisstätten aufgehoben, damit kam es zu einem von der Gemeinde verwalteten (und auch finanzierten) Friedhof. Die Planungsannahme war, dass sich Wien bis Ende des 20. Jahrhunderts zu einer Metropole mit rund vier Millionen Einwohnern entwickeln würde. Ganz so ist das nicht eingetreten, es gibt noch viele freie Flächen. Der Friedhof ist auf einem Lössboden angelegt, da ein solcher auf den Verwesungsprozess von Leichen im Vergleich zu anderen Bodenarten beschleunigend wirkt und zudem die Gefahr der „Ausbreitung und Verschleppung epidemischer Krankheiten aus dem Friedhof“ geringer sei. Weiters wurde auf den Umstand hingewiesen, dass Lössboden bequem zu bearbeiten ist und somit der Aushub von Gräbern schneller durchführbar sei und überdies eine geringere Einsturzgefahr der Grabwände bestünde.
Seit und teils auch schon vor seiner Eröffnung wurde der Zentralfriedhof häufig kritisiert und war bei der Bevölkerung nicht sehr beliebt – und dementsprechend schlecht besucht. Die Reise dorthin war lange und beschwerlich, da es noch keine direkte Bahnverbindung zum Friedhofsgelände gab. Um diesem negativen Image entgegenzuwirken und die Attraktivität des Friedhofs zu steigern, beschloss der Gemeinderat 1881 die Errichtung einer Ehrengräberanlage. Dazu wurden die sterblichen Überreste verschiedener prominenter Persönlichkeiten von anderen Friedhöfen auf den Zentralfriedhof verlegt, unter anderem Ludwig van Beethoven und Franz Schubert vom Währinger Ortsfriedhof. 1910 bekam der Friedhof eine Friedhofskirche, zum heiligen Karl Borromäus, und damit einen weiteren Anziehungspunkt für die Besucher. Die Kirche wurde lang als Karl-Lueger-Gedächtniskirche bezeichnet, weil Karl Lueger, der von 1897 bis 1910 Wiener Bürgermeister war, hier beigesetzt ist. Er hat sich auch gleich neben dem Hauptaltar verewigen lassen.
Ein anderes Problem, mit dem die Stadtväter zu kämpfen hatten, waren die Leichentransporte. Bei hunderten Toten pro Woche, die zur damaligen Zeit mit Pferdewagen in die neu entstandene Nekropole gebracht werden mussten, prägten diese kaum enden wollenden Leichenzüge schon bald das alltägliche Bild der Simmeringer Hauptstraße, sehr zum Missfallen der dort wohnenden Bevölkerung, der diese ständige Konfrontation mit dem Tod zusehends auf das Gemüt schlug. Schon ab dem ersten Winter kam es immer wieder dazu, dass Kondukte im Schnee steckenblieben. Vorschläge, Konzepte und Pläne für alternative Leichentransporte gab es viele, die jedoch allesamt nicht zur Durchführung gelangten. Sehr modern war der Plan, ähnlich dem Prinzip der Rohrpost die Leichenbeförderung pneumatisch in einem langen, beim Zentralfriedhof endenden Tunnel durchzuführen. Im Zweiten Weltkrieg sind Leichentransporte mittels einer Bestattungsstraßenbahn, die zahlreiche Särge aufnehmen konnte, durchgeführt worden.
Im Zuge des Pogroms gegen die jüdische Bevölkerung in der Reichspogromnacht (der sogenannten „Reichskristallnacht“) am 9. November 1938 wurde die Zeremonienhalle in der alten Israelitischen Abteilung von Nationalsozialisten gesprengt und jene in der neuen Israelitischen Abteilung verwüstet. Außerdem wurden zahlreiche Grabstätten beschädigt oder zerstört.
In dieser Zeit wurden hunderte Widerstandskämpfer und Deserteure der Wehrmacht im Wiener Landesgericht hingerichtet und deren Leichen anschließend in Schachtgräbern auf dem Zentralfriedhof verscharrt. Die Angehörigen wurden weder über Ort noch Zeitpunkt der Beisetzung informiert. Einige Jahre nach Kriegsende wurden die Grabstätten der Hingerichteten von der Stadt Wien zur Mahn- und Gedenkstätte erklärt.
Der Zentralfriedhof in seiner heutigen Form besteht einerseits aus dem interkonfessionellen „Hauptfriedhof“, der jedem Verstorbenen, ungeachtet der Glaubensrichtung, als letzte Ruhestätte zur Verfügung steht, andererseits aus den verschiedenen konfessionellen Friedhöfen und Abteilungen. Der überwiegende Teil des Hauptfriedhofs besteht seit jeher aus katholischen Gräbern. Darüber hinaus bestehen mittlerweile Abteilungen und Friedhöfe weiterer Konfessionen: buddhistisch, evangelisch, islamisch (alte, neue und islamisch-ägyptische Abteilung), jüdisch (alter und neuer Friedhof), orthodox (russisch, griechisch, rumänisch, etc.), mormonisch.
Der Zentralfriedhof zählt zum östlichen Grüngürtel von Wien. Aufgrund seiner Größe und des zum Teil dichten Baumbestandes beherbergt er eine vielfältige Fauna. Am häufigsten zu beobachten sind die vielen Eichhörnchen, rund 20 Rehe werden gezählt. Darüber hinaus bietet der Zentralfriedhof Lebensraum für Turmfalken, Feldhamster, Dachse, Marder, Frösche und allerlei Kleintiere. Bis Mitte der 1980er Jahre war das Friedhofsgelände sogar offizielles Jagdgebiet und der Wildbestand wurde durch einen von der Forstverwaltung eingesetzten Jäger kontrolliert. Heutzutage wird versucht, das ökologische Gleichgewicht auch ohne Einsatz von Gewehren zu bewahren.
Es war ruhig, heute am Vormittag am Friedhof, wenige Autos fuhren vorbei, dafür aber 2 Fiaker. Was meine Aufmerksamkeit erregte, war eine große parkartige Fläche, auf der Steine in der Form von Steinkreisen (ähnlich wie Stonehenge – nur viel kleiner) angeordnet waren. Es soll ein Kraftfeld sein und bildet die Tag- und Nachtgleiche ab.
So beruhigt, stieg ich in den bereitstehenden 71er ein. Aber sehr zu meinem Ärger fuhr dieser nur zur Schlachthausgasse (Demo auf dem Ring). Nur war guter Rat teuer. Denn vom „Verfassungsschutzgebäude“ bis zu uns nach Hause, ist es doch weit. Ein freundlicher Herr der Wiener Verkehrsbetrieb wies mich auf die Möglichkeit des 74A. Vom Stubentor war es dann doch nicht so weit.