Zur Aufarbeitung der Wunden des Kolonialismus

Vergangene Woche, also Ende August 2018, fand in einer Berliner Kirche eine Zeremonie statt, im Rahmen derer namibische Vertreter die Überreste einheimischer Personen übernahmen, die vor mehr als einem Jahrhundert in ihrem Land von den Deutschen getötet worden waren. Diese Überreste bestanden aus 19 Schädeln, einen Skalp und Knochen, die zu fünf Skeletten gehörten, die alle jahrzehntelang auf staubigen Regalen in deutschen Universitäten und Museen herumgelegen sind.

Diese Reste bilden eine Verbindung zu einer hässlichen Vergangenheit, nämlich zu dem von vielen Wissenschaftlern so bezeichneten ersten Genozid des 20. Jahrhunderts.  Zwischen 1904 und 1908 hatte die Kolonialmacht im damaligen Deutsch-Südwest-Afrika ausgedehnte Massaker an den Stämmen der Hereros und Namas durchgeführt. 80% der nomadisch lebenden Hereros, geschätzte 100 000 Personen starben damals, entweder durch deutsche Streitkräfte getötet oder verdurstet oder verhungert in der Wüste, in die sie getrieben worden waren.

Im Oktober 1904 führte Lothar von Trotha  (*1848; † 1920), ein preußischer Offizier, zuletzt General der Infanterie, seinen unrühmlichen Vernichtungsbefehl aus, der forderte, dass jeder Herero, mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh zu erschießen wäre. Im folgenden Jahr wurde ein ähnlicher Befehl erteilt, der diesmal die Namas betraf, es wird davon ausgegangen, dass ungefähr 10 000 von ihnen getötet worden waren.

Das war aber noch nicht das Ende der Gräuel: angetrieben durch die rassistische Eugenik dieser Zeit, wurden tausende von Schädeln und anderer Körperteile der Eingeborenen zurück nach Europa gebracht. Dort dienten diese Objekte Studienzwecken, die die Basis für die jetzt verpönte Theorie der Überlegenheit der Europäischen Rasse bilden sollten. (Nur der Ordnung halber sei’s hinzugefügt, Ähnliches – betreffend Deutsche und Muslime – behauptet auch heute noch Thilo Sarrazin in seinen Büchern)

Viele dieser Schädel gehörten den Stammesangehörigen, die man in diesen „grindigen“ Konzentrationslagern in der Wüste sterben ließ. Den Toten wurden die Köpfe abgeschlagen. Ihren Witwen wurde aufgetragen, mit Scherben die Haut und das Fleisch von den Schädeln zu kratzen, um diese besser für den Transport her zu richten.

Aber die Grausamkeit dieser Akte ist nur ein Teil einer größeren Geschichte. Die Deutschen waren nicht die Einzigen, die die lokale Bevölkerung abgeschlachtet hat und deren Körperteile gehortet hatten. Unzählige Museen, Klinken und Universitäten behausen noch immer Überreste der verschiedenen kolonialisierten Völker, die manchmal sogar nur deshalb getötet wurden, um diese makabren Sammlungen zu vergrößern.

Eigentlich erst in den letzten Jahren entstand langsam ein Bewusstsein dieser Schandtaten. 2012 beispielsweise sandte Frankreich mumifizierte Köpfe von 20 Maoris, die in einem Pariser Museum gelegen waren nach New Zealand zurück. Der französische Kultusminister meinte damals, dass man damit ein schreckliches Kapitel der Kolonialgeschichte schließe, und nun eine neues Kapital von Freundschaft und gegenseitigem Respekt eröffne.

Auch in Österreich ist Ähnliches schon geschehen:  m Rahmen einer feierlichen Zeremonie im Weltmuseum Wien sind schon 2015 menschliche Überreste aus der Maori-Sammlung an Neuseeland zurückgegeben worden. Anwesend waren hochrangige Vertreter Österreichs und Neuseelands. Die Gebeine waren im 19. Jahrhundert vom oberösterreichischen Naturforscher Andreas Reischek (*1845; † 1902) in Neuseeland illegal erworben worden. Reischek hatte laut Weltmuseum bei seinen Forschungsreisen auf der Nordinsel Begräbnisstätten geplündert, gleichwohl Fundgeschichte und -orte penibel dokumentiert.

In ganz Europa denken Museumskuratoren und Staatsangestellte kritisch darüber nach, woher manche der Objekte in Besitz ihres Landes gekommen sind. Präsident Macron hat Pläne angekündigt, zahlreiche Objekte wie Masken, Throne, Szepter und Statuen zurückgeben zu wollen, die von Europäern früher durch Plünderungen in ihren Besitz gekommen waren. Auch in Deutschland, das ja lange mit der Aufarbeitung des Holocaust beschäftigt war, scheint sich ein ähnliches Projekt anzubahnen.

Aber all das scheint nur ein Anfang zu sein: In Namibia z.B. erwarten viele der Nachkommen der Hingeschlachteten auf eine Entschuldigung der Deutschen. Aber das scheint schwer zu erreichen sein, bisher ist nur folgender Satz offiziell ausgesprochen worden: „wir bekennen uns zu unserer historischen Verantwortung“. Gleichzeitig bat man die Namibische Delegation um Vergebung. Das wurde aber nicht als Entschuldigung angesehen. Dabei fürchten die Deutschen, dass dann umgehend Reparationsforderungen gestellt würden.

Das verärgerte wiederum die Hereros. Sie reichten eine Sammelklage gegen die Deutschen bei einem US Gerichtshof ein. Die Deutschen, so meinte ein Herero Häuptling vor Regierungsvertretern beider Länder, werden weiterhin schwere Fehler machen. Denn wir – die Hereros, sind Abkommen dieser Überreste! Aber sie werden wahrscheinlich enttäuscht werden. Denn die europäischen Regierungen sind eher unwillig, Entschuldigungen auszusprechen. Das ist teilweise auch darauf zurückzuführen, die die rechten Parteien in Ländern wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien im Aufschwung sind, die den „Schamkomplex“ der Linken heftig bekritteln. Die deutsche AfD hat sogar die Deutschen aufgefordert, endlich über den Kult des Schuldkomplexes der Nazi-Herrschaft endlich hinwegzukommen. Die Hereros wiederum behaupten, dass die Juden, bei denen man sich entschuldigt hat – eben Weiße wären, und sie, die Hereros, eben Schwarze.

Somit rumpelt das Projekt der Versöhnung und Sühne sehr langsam und recht uneben daher.

Eine deutsche Bischöfin hat kürzlich gemeint, dass diese Übergabe schon lange hätte erfolgen sollen. Für die Hereros und die anderen unzähligen Opfer des europäischen Imperialismus ist es noch immer zu wenig und zu spät.

Ein schwieriges schmerzhaftes Thema für alle Betroffenen. Dennoch, die Objekte sind noch unzerstört vorhanden.

Für die Hereros ist es auch nicht so gut weitergegangen, als die Deutschen die Kolonien in Afrika während des Ersten Weltkriegs verloren haben. Sie kamen unter die Herrschaft der weißen Minderheit in Südafrika. Aufforderungen der Vereinten Nationen seit dem Jahre 1946, das Land in die Unabhängigkeit zu entlassen, wurden von Südafrika ignoriert.

Am 12. Juni 1968 änderte die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Namen des Territoriums von South West Africa (deutsch Südwestafrika) zu Namibia. 1978 reagierte Südafrika mit der Durchführung der ersten allgemeinen Wahlen in diesem Territorium, aus denen die Demokratische Turnhallenallianz (DTA) der konservativen weißen Minderheit als Sieger hervorging. Da die Wahlen jedoch manipuliert waren, wurden sie von der SWAPO boykottiert und international nicht anerkannt.

Südafrika gab erst 1988 die Besatzung auf. Die südafrikanischen Streitkräfte zogen bis 1989, kurz nach den ersten freien Wahlen, unter Überwachung der UN-Einheit UNTAG vollständig ab.

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