In der letzten Zeit habe ich zwei Bücher über den Zweiten Weltkrieg gelesen. Das eine hatte die Situation in Frankreich zum Inhalt, mit besonderer Betonung der Verhältnisse der in der Resistance und ihrer Unterstützung durch England. Spione lebten gefährlich damals. Angst regierte das Dasein der Menschen. (Nightflight to Paris von David Gilman)
Das andere Buch ist eigentlich ein Klassiker, geschrieben 1946 von Hans Fallada (*1893; † 1947) – und jetzt wieder aufgelegt. Manchen wird sein Welterfolg „Kleiner Mann, was nun“ vielleicht in Erinnerung sein. Ich lese aber jetzt: „Jeder stirbt für sich allein“.
Beim Lesen – und auch nachher – habe ich darüber nachgedacht, was mir aus dieser Kriegszeit in Erinnerung geblieben ist. Als der Krieg zu Ende war, war ich gerade 10 Jahre alt geworden. Sicher sind mir „Der völkische Beobachter“, der „Volksempfänger“ (Radio) im Gedächtnis geblieben, ebenso wie die Organisation „Kraft durch Freude“ und auch der Volkswagen. Ich muss aber bei all den Erinnerungen trennen, was ich damals wirklich wahrgenommen habe und was ich nachher gehört, gelesen und gesehen habe. Das ist nicht einfach.
Ob z.B. der Völkische Beobachter von uns regelmäßig bezogen wurde, kann ich nicht mehr sagen, aber gesprochen wurde sicherlich darüber und das optische Bild der Titelseite ist mir auch bekannt. Der Völkische Beobachter (VB) war von Dezember 1920 bis zum 30. April 1945 das publizistische Parteiorgan der NSDAP. In scharfer Abgrenzung zu bürgerlichen Zeitungen bezeichnete sich der VB als „Kampfblatt“ und war programmatisch mehr an Agitation als an Information interessiert. Zunächst erschien der VB zweimal wöchentlich, ab dem 8. Februar 1923 täglich in München. Er wurde nach den Anfangsjahren reichsweit vertrieben. Am 17. Dezember 1920 hatte die NSDAP das damals marode Blatt für 120 000 Mark erworben. Hauptteilhaber waren nach dem Eintrag ins Handelsregister Adolf Hitler. Bis 1929 stagnierte die Auflage unter 20.000, wuchs bis 1930 auf knapp 40.000 und erreichte zu den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 die Marke von 100.000 Exemplaren, womit der VB zu den größten deutschen Zeitungen gehörte. 1932 wurde in Berlin eine eigene Druckerei eingerichtet, in der ab 1. Januar 1933 zwei weitere Regionalausgaben hergestellt wurden: Eine norddeutsche und eine Berliner. Des Weiteren gab es eine süddeutsche und ab 1938 eine Wiener Ausgabe (Redaktion: Seidengasse 3–11, Wien-Neubau). Die Auflage steigerte sich mit dem Erfolg der nationalsozialistischen Bewegung enorm, 1931 erreichte sie über 120.000, überschritt 1941 die Millionen-Grenze und soll 1944 1,7 Millionen Exemplare betragen haben. Die Einnahmen aus dem Verkauf allein trugen das Blatt nicht. Es hielt sich durch den Verkauf unverzinslicher Schuldscheine an Parteimitglieder am Leben und erhielt Darlehen und Zuschüsse von wohlhabenden Gönnern. Finanzielles Rückgrat war später der ausgebaute Buchverlag. Auch der 1926 gegründete „Illustrierte Beobachter“ war ein Erfolg. Daneben wurde die Anhängerschaft immer wieder an ihre Pflicht erinnert, Abonnent zu werden und solche zu werben. Einige Tage vor der deutschen Kapitulation stellte der Völkische Beobachter Ende April 1945 sein Erscheinen ein. Die letzte Ausgabe vom 30. April 1945 wurde nicht mehr ausgeliefert.
Der Wahrheit sah sich der Völkische Beobachter nicht verpflichtet, wohl aber der Propaganda. Medien und Kultur waren im System Hitlers von großer Wichtigkeit. Das lag an der Eigenschaft der beiden gewaltigen Machtinstrumente, Menschenmassen zu beeinflussen, Feinde im Inneren des Landes zu neutralisieren und die Meinung des Auslandes über das Dritte Reich zum Nutzen der NSDAP zu steuern. Eine sogenannte Gleichschaltung (Vereinheitlichung und somit Ausschaltung NS-fremder Elemente) begann schon am fünften Tag nach der Machtübernahme der NSDAP und endete für die Presse am 1. Januar 1934 mit dem Erlass des Schriftleitergesetzes und der Entstehung eines neuen, vom Staat gelenkten Nachrichtenbüros. “Redakteur“ durfte man ja damals nicht sagen, es mussten alle „ausländischen“ Begriffe eingedeutscht werden – daher Schriftleiter.
Andere Zeitungen im Dritten Reich“ waren mir damals nicht bekannt, über „den Stürmer“ habe ich erst später vieles gehört.
Aber das Radio – Volksempfänger war schon interessanter. Ich mochte die Musik, aber auch die Nachrichten, obwohl ich nicht immer alles verstand (vieles sollte man ja auch nicht verstehen, vor allem so Dinge wie „Rückzug unserer Truppen“). Z.B. unter dem Wort „gewährleisten“ stellte ich mir immer ein Gewehr mir einem Leisten (?) vor. Dann gab es z.B. den „Kuckucksruf“ der ankündigte, dass Bombereinheiten aus wo auch immer (z.B. Ungarische Tiefebene) im Anflug waren. Ab dann sollte man Luftschutzkeller aufsuchen. Aber am Interessantesten war es doch, wenn „der Feindsender“ (BBC) gehört wurde. Da wir damals in Pregarten in einem Zimmer wohnten, in dem alles stattfand (Essen, Kochen, Schlafen, Arbeiten) merkte ich selbstverständlich, wenn der Feindsender gehört wurde. Alles musste verdunkelt sein und um mich zu schonen, wurde noch eine Decke über das Radio – eben den Volksempfänger und meine Mutter, gebreitet. Schnell hatte sich die Londoner BBC zum stärksten ausländischen Feindsender entwickelt. Mit Kriegsbeginn 1939 waren vom NS-Regime zahlreiche neue Gesetze und Verbote eingeführt worden. Eines der neuen Gesetze war die „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“ vom 1. September 1939. Sie bedrohte das Hören ausländischer Rundfunksender mit hohen Strafen. Hörer satirischer Beiträge oder Musiksendungen wie Jazz und Swing kamen oft mit einer Verwarnung durch die Gestapo davon, mussten aber auch mit dem Einzug des Rundfunkgerätes oder gar einer Gefängnisstrafe rechnen. Verbreitung von abgehörten Nachrichten der Feindsender konnte mit Zuchthaus oder sogar mit dem Tode bestraft werden. Der Wehrkraftzersetzungs-Paragraph wurde im Laufe des Krieges immer weiter ausgelegt. Also, dass ich über dieses Abhören den Mund zu halten hatte, war mir strengstens eingeschärft worden. Man verheimlichte mir auch wohlweislich den Inhalt dieser Sendungen.
Ich wusste, dass es den Volkswagen gab, ich wusste auch, wie er aussah, aber dass einer erworben werden könnte, war jenseits meiner Vorstellungskraft.
Ich wusste von der „Kraft durch Freude“ Maßnahmen, aber in den Genuss solcher Benefizien wie z.B. Schiffsreisen sind wir nie gekommen. Die Vergnügungsschiffe wurden ja auch im Krieg für den Transport von erst Truppen dann Verwundeten eingesetzt, oder zur Rettung von Menschen die aus Ostpreußen flüchten wollten. Dabei ist die „Gustloff“ ja dann gesunken – und hat ungefähr 9 000 Menschen in den Tod gerissen.