Schauen wir zu sehr in die Vergangenheit, verklären wir das „früher“? Bevor ich auf diese wesentliche Frage antworte, möchte ich sie kurz umformulieren: schaue ICH zu sehr in die Vergangenheit, verkläre ICH sie?
Ich gebe zu, ich schaue viel in meine Vergangenheit, ich bin alt, ich habe eine lange Vergangenheit. Es gibt viele Fragen: habe ich alles richtig gemacht, bin ich bei Wegkreuzungen in die richtige Richtung abgebogen, habe ich andere Menschen willentlich und unwillentlich verletzt? Habe ich überhaupt, oder vielleicht einigermaßen „ausreichend“ dazu beigetragen, dass „es besser wird“? Diese Fragen sind schwer zu beantworten und vielleicht fallen manche Antworten auch etwas schmerzhaft und ernüchternd aus. Ich bin also nicht ganz so großartig, wie ich gerne gesehen würde!
Dennoch stelle ich fest, dass ich gerne über das „Früher“ schreibe, und dass es auch gerne gelesen wird, viel lieber, als über die Gegenwart, oder gar die Zukunft. Meine persönliche Zukunft ist nicht mehr sehr lange, aber unsere Zukunft, die unseres Landes und die Europas, die ist mir schon wichtig. Es ist die Zukunft unserer Kinder, Kindeskinder und meiner Urenkel.
Und ich habe das Gefühl, dass wir als Gesellschaft hier in Österreich viel in die Vergangenheit blicken, aber nur in eine bestimmte Periode unserer Vergangenheit. Und zwar in die so genannte Nazi- Vergangenheit. Aber einerseits haben wir als Österreicher eine viel längere Vergangenheit und selbst zeitgeschichtlich betrachtet, ist in Österreich und Europa im 20. Jahrhundert vieles geschehen, wovon besonders junge Menschen wenig Ahnung haben. Ich stell das an meinen Enkeln fest, das ist natürlich nicht die allgemeine Situation, aber man kann doch von deren Lehrplänen auf die Allgemeinheit Schlüsse ziehen.
Über den Ersten Weltkrieg und das Jahr 1918 haben wir relativ viel gehört, anlässlich der „100-Jahre“ Veranstaltungen. Ich erwarte mir auch viel vom heurigen Jahr, hier werden hoffentlich die Pariser Vororteverträge entsprechend „gewürdigt“ werden, vor allem aber ihre verheerende Wirkung auf die folgende Zeit.
Aber die „abwechslungsreiche“ Zwischenkriegszeit, darüber wird wenig kommuniziert, über Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, aber auch über die „roaring twenties“, die so genannten „Goldenen Zwanziger Jahre“. Einerseits sind wir damals in das Zeitalter der Massenkommunikation eingetreten, der Rundfunk hat eine zunehmende Rolle gespielt. Andererseits hat es politische Unruhen gegeben (Probleme der Weimarer Republik). In Österreich war diese Zeit politisch beherrscht von einem Prälaten, katholischen Theologen und Politiker der Christlichsozialen Partei. Er war zweimal Bundeskanzler (1922–1924 und 1926–1929). Seipel konnte zwar die Staatsfinanzen sanieren und die Bundesverfassungsnovelle 1929 durchbringen, andererseits bekämpfte er besonders in seiner zweiten Amtszeit die Sozialdemokratische Arbeiterpartei sowie den Austromarxismus und unterstützte die Militarisierung von paramilitärischen Milizen wie der Heimwehr. In Wien hingegen waren „die Roten“ stark: die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs erreichte bei den Wahlen zu Landtag und Gemeinderat wiederholt die absolute Mehrheit. Die sozialdemokratische Kommunalpolitik dieser Jahre war geprägt von umfassenden sozialen Wohnbauprojekten und von einer Finanzpolitik, die neben dem Wohnbau auch umfangreiche Reformen in der Sozial-, Gesundheits- und Bildungspolitik unterstützen sollte. Das „Rote Wien“ endete 1934, als Bürgermeister Karl Seitz infolge des österreichischen Bürgerkrieges seines Amtes enthoben und verhaftet wurde.
Die Goldenen Zwanziger Jahre endeten abrupt mit der Weltwirtschaftskrise 1929 und der darauffolgenden Arbeitslosigkeit. Das daraus resultierende soziale Elend führte auch – sowohl in Deutschland als auch in Österreich – zu politischen Krisen und Bürgerkrieg. In Österreich kam es zum Ständestaat und in Deutschland konnte Hitler groß werden. Vielleicht wäre gerade diese Epoche einer näheren und möglichst objektiven Untersuchung wert, um zu erkennen, welche Faktoren zu den unseligen Nazijahren führen konnten. Dazu reicht es für Schüler nicht, nach Mauthausen oder Auschwitz zu fahren!
Auch die Nachkriegszeit bedürfte einer objektiveren Untersuchung. Eine ganze Generation „Heutigen“ verdammt die Haltung vieler Menschen dieser Zeit, man bezichtigt sie, zu wenig „aufgearbeitet“ zu haben, zu tolerant mit „Nazis“ gewesen zu sein. Vielleicht ist es schwer, sich als Heutiger, eigentlich im Überfluss Lebender, sich in diese Zeit hineinzudenken, wo es Tag für Tag ums nackte Überleben ging. Vielleicht sehen manche diese Zeit als „verkrustet“ an, für mich waren sie es nicht!
Aber es gibt auch Ereignisse in dieser Periode ab 1945, Kriegsende, die einer Betrachtung auch im Hinblick auf die heutige Zeit, würdig wären. Ich denke da z.B. über den Koreakrieg. Aber auch unsere eigene europäische Geschichte weist Episoden auf, derer man sich heute erinnern sollte, über die aber die heute knapp Erwachsenen in der Schule nie etwas gehört haben: mir fallen dazu die Roten Brigaden in Italien ein aber auch die Aktivitäten der Roten Armee Fraktion in Deutschland, sowie die Studentenproteste auch in Frankreich oder in den USA ein.
Wer hat unseren Jugendlichen je etwas von den Roten Khmer in Kambodscha erzählt, oder von dem großen verlustreichen Vietnam Krieg. Ich weiß nicht wie viel von der Staatengründung Israels kommuniziert wurde und damit von den Wurzeln des Konflikts mit den Palästinensern. Ich habe jedenfalls festgestellt, dass in der Generation bis 30 kaum noch jemand weiß, was ein Kibbuz ist, die doch wesentlich für den Beginn Israels waren.
Das sind nur einige, wenige Beispiele, worüber Jugendliche unterrichtet werden könnten, ergänzend zu erschöpfenden weiteren Details über die „Nazizeit und den Holocaust“. Es gibt diese hervorragenden Filmdokumentationen von Hugo Portisch über die Geschichte des 20 Jahrhunderts in Österreich – sollten sie nicht auch Bestandteil des Unterrichts werden. Ich weiß schon, Kinder können nicht nur über Geschichte unterrichtet werden, aber die Zeit, die dafür zur Verfügung steht, sollte m.E. „breiter“ genutzt werden.
Aber besonders sollten Jugendliche auf die Zukunft vorbereitet werden, sie sollten möglichst viel von Globalisierung, Digitalisierung und Roboterisierung lernen. Sie sollten aber auch darüber unterrichtet werden, wie man Fakten von Fake News unterscheiden kann, denn das wird einmal ihr Leben bestimmen, wenn sie wiederum auf Sirenentöne extremer Gruppen (auch in den sozialen Medien) hineinfallen, oder klug sich ihre eigene Meinung bilden können, um ihre Zukunft selbst positiv zu gestalten.