Jetzt beginnt der Ernst des Lebens. Ich habe gelernt, dass man das Kindern zu Schulbeginn nie sagen darf. Mir und wahrscheinlich vielen meiner Generation hat man es aber gesagt. Was hat es uns damals bedeutet? Ich habe damals überlegt, wer oder was denn „Ernst“ sei? Bedrohlich habe ich es nicht empfunden. Außerdem haben wir, also meine Generation, uns auf den (Wieder-)Beginn der Schule gefreut – auch ohne Schultüte. Diese Schultüten sind bei uns in Österreich erst zu einer Zeit aufgetaucht, als ich schon lange aus dem Schulalter herausgewachsen war. Der Brauch kommt aus Deutschland, wo er im Osten des Landes schon seit 1810 nachgewiesen ist. Einige führen die süßen Geschenke zum Schulanfang auf den Brauch der jüdischen Gemeinden zurück, Kindern zu Beginn ihres an der Tora ausgerichteten Schullebens süßes Buchstabengebäck zu schenken als Erinnerung an den Psalm-Vers „Dein Wort ist in meinem Munde süßer als Honig“ (Psalm 119). Viele Rabbiner bestreiten dies.
Zuletzt waren die Ferien schon langweilig geworden. Wir hatten ja all die heutigen Möglichkeiten nicht, mit unseren Freunden in Kontakt zu bleiben, kein Handy, kein Twitter, kein Facebook, kein Youtube, kein WhatsApp etc. In den Ferien schrieben wir einander bestenfalls „steife“ (von Eltern textlich kontrollierte) Ansichtskarten. Und die Unterhaltungsmöglichkeiten, vor allem in der Stadt waren nicht so umfangreich, wie sie heute sind. Als ich vorgestern im Netz nachgeschaut habe, was es in Wien „für Kinder“ gäbe, bin ich auf eine Reihe von Veranstaltungen gestoßen, die mir jetzt leider tägliche irgendwelche Mails zum Update des Angebots schicken! Spielzeug hatten wir auch nicht so viele unterschiedliche Stücke. Zu Hause sicher kein Fernsehen, keine Videos, das Wort Beamer habe ich erst viel, viel später gelernt. Die meisten Bücher, die uns zur Verfügung standen hatten wir nicht nur „ausgelesen“, sondern bereits wiedergelesen (kein Wunder, das diese uns dann später so geprägt haben).
Na sicher freuten wir uns auf die Schule, was immer „der Ernst des Lebens“ auch war. Die Freunde waren alle wieder da, in der Schule hörte man Neues, Unbekanntes, bekam neue Schulbücher (wenn wir überhaupt welche hatten: keine in der Nachkriegszeit und oft übertragene, die uns die Schüler der Klasse über uns verkauft oder überlassen hatten oder sie kamen aus der Schülerlade). Wir kauften Spinnenpapier, um die Hefte und Bücher darin – zur Schonung – einzupacken. Darauf klebten wir Schilder, die den zukünftigen Inhalt andeuteten.
In der Volksschule hatte man die vertraute Lehrerin, im Gymnasium manchmal weniger geliebte aber manchmal auch interessante neue Lehrer. Noch stand nur die erste Schulperiode bevor, ohne fixen Stundenplan, mit meist nur wenigen Aufgaben und noch keinen Prüfungen und Schularbeiten. Noch lachte draußen die Sonne und im Park traf man am Nachmittag wieder die alten Freunde. Meist bekam man neues Gewand und/oder Schuhe, vieles war zu klein geworden. So schlimm war all das sicher nicht. Zum Schulanfang war vieles noch „a Hetz“. (= Spaß, kommt von der Tierhetze, die bis in die späte Barockzeit eine beliebte Unterhaltung – nicht nur für das einfache Volk – war.)
Unser Schulweg war noch nicht von zu viel Verkehr gefährdet, Roller verwendeten wir als Spielzeug und Fahrräder waren sehr, sehr lang ein Traum geblieben. Und wenn wir am Nachhausweg etwas brodelten, regten sich unsere Eltern noch nicht über unser zu spät kommen allzu sehr auf. Das änderte sich, als es im Krieg dann auch zu Bombenalarm und ganz zuletzt auch zu Angriffen von Tieffliegern kam.
Wie ich aber höre, freuen sich die Kinder heutzutage nicht so besonders auf den Schulbeginn, es stört sie, wieder regelmäßig früh aufstehen zu müssen. Zugegebenermaßen, das hat uns auch gestört, aber die Freuden des Wiedersehens überwogen doch. Wir hatten noch relativ viele Hausaufgaben, jetzt scheint das nicht so umfangreich zu sein – und wird oft auch noch in der Schule – am Nachmittag – erledigt. Wir hatten auch keine „Arbeitshefte“, in die man nur ein Wort oder eine Ziffer einfügen musste, wir mussten noch alles ausschreiben. Ich habe ganz am Anfang noch in Kurrent geschrieben, wir mussten dann auf die lateinische Schrift (Normalschrifterlass der Nationalsozialisten) umsteigen. Mit Mühe kann ich heut noch Texte in Kurrentschrift lesen, aber langsam, denn ich muss buchstabieren.
Lernhilfen hatten wir nicht besonders viele, ich kann mich noch an den Rahmen mit den hundert bunten Kugeln erinnern. Aber Schiefertafeln, das war schon vor meiner Zeit gewesen. Aber unsere Pulte in der Schule hatten noch ein Tintenfass mit Deckel, in das man die Zopfspitze des vor einem sitzenden Mädchens tauchen konnte. War zwar lustig, aber die Konsequenzen waren unangenehm. Aber die erste Füllfeder war dann schon etwas Besonderes, ich bekam meine zu Weihnachten und behielt sie – bis sie mir im Büro viel, viel später gestohlen wurde. Sie war grün, musste gefüllt werden (damals gab‘s noch keine Tintenpatronen). Ich war und bin über ihren Verlust sehr traurig!
Demnächst werde ich mich halt wieder dem Ernst unseres jetzigen Lebens zuwenden, den Trumps und den Johnsons, den Orbans und den Erdogans. Ich glaube auch nicht, dass Salvini schon die Bühne verlassen wird.
Jedenfalls allen Schülern und Schülerinnen wünsche ich einen frohen Schulbeginn!