Ich hatte jenseits des Donaukanals zu tun und bin quer „durch de Stadt“ gegangen. Am Hinweg – auf der „Direttissima“, also Kärntnerstraße, Stephansplatz, Rotenturmstraße. Die Kärntnerstraß ist immer ziemlich voll von Touristen, ebenso wie der Stephansplatz. Und die Rotenturmstraße ist zwar schon „fast“ fertig, aber halt nur fast, und die dortige Maschine, die den Asphalt im Mittelteil aufbringt, war von Neugierigen umlagert.
Der Rückweg wurde anders angelegt, und zwar über kleinere Gassen. Da kam ich zuerst einmal, vom Donaukanal hinauf, über den Laurenzerberg, benannt nach dem ehemaligen Laurenzinerinnenkloster. Zwischen 1942 und 1945 befand sich auf Nummer 1 ein Zwangsarbeiterlager. Früher hatten hier – nicht grad auf Nummer 1, liebe Freunde gewohnt, die beide schon von uns gegangen sind, ich denke gerne an die fröhlichen gemeinsamen Zeiten …
Schräg gegenüber geht vom Fleischmarkt, in den der Laurenzerberg mündet, die Drachengasse weg: sie ist nach einem Hausschild „Zum goldenen Drachen“ benannt. Nachgewiesen ist sie bereits im Jahre 1437, hatte aber damals noch keinen eigenen Namen. 1656 erscheint erstmals der Name Drachengässl, denn auf Nr. 2 lebte der Hausbesitzer Martin Drach (1629–1683), mit dem das Hausschild Zum goldenen Drachen in Zusammenhang steht, das 1701 schon bestand. Die Drachengasse ist eine Sackgasse, die vom Heiligenkreuzerhof (auch ein Objekt, das ich ein andermal beschreiben werde) begrenzt wird. Sie besitzt nur die Breite eines Gehweges. Weithin berühmt ist das Theater in der Drachengasse, so auch der Name. Das Hotel Post, dessen Eingang am Fleischmarkt liegt, beherbergt auch die Wiener Kammeroper. Die Foyers, das Stiegenhaus und der Zuschauerraum sind secessionistisch und mit reichem Stuckdekor versehen. Der rechteckige Zuschauerraum besitzt ein Spiegelgewölbe und eine rundum laufende balkonartige Empore. Die Kammeroper hat sich auf Opernraritäten, die auf keinen anderen Spielplänen stehen, spezialisiert, führt darüber hinaus aber auch zeitgenössische Werke und Altwiener Singspiele auf. Ein Auftragswerk war die Rockoper Carmen negra.
Anlässlich eines Festes, das ein Verlag, bei dem sowohl mein Mann als auch ich Bücher veröffentlicht hatten, veranstaltete, kamen wir (damals schon mit dem Rollstuhl) in die Drachengasse. Nun stellte sich das Problem, das wir mit dem Rollstuhl nicht in den Lift passten. Der Verlag verlegte einen Teil der Feier einfach in die Drachengasse, wo wir mit fast allen ankommenden und weggehenden Gästen zusammenkamen, die Verlegerin kam mit einer Flasche Sekt und Gläsern und ein Tablett mit Brötchen wurde auch hierher gebracht – es war für uns ein sehr fröhliches Fest – in der Drchengasse.
Über den Fleischmarkt kam ich dann in die Postgasse, von hier geht wiederum die Barbaragasse ab. Sie wurde 1862 nach der nahegelegenen Barbarakirche benannt. Die Verbauung der kurzen Gasse ist einheitlich frühhistoristisch. Da es sich bei den Gebäuden jeweils um Seitenfronten handelt und dort keine Geschäfte oder Lokale zu finden sind, besitzt die Barbaragasse den Charakter einer ruhigen und unbedeutenden Seitengasse, in der auch wenige Fußgänger unterwegs sind. Auf Nummer 1 befindet sich die Hauptpost (Hauptadresse Postgasse 8–10). Seit 1423 befand sich an dieser Stelle eine Burse, die 1470 Burse zur roten Rose und seit 1507 Rosenburse genannt wurde (die Universität befand sich in unmittelbarer Nähe). 1623 ging sie in den Besitz der Jesuiten über, die dort 1654 eine Barbarakapelle einrichteten. Nach der Aufhebung des Ordens übergab Maria Theresia 1775 die Kirche und das anschließende Gebäude der griechisch-katholischen Kirche. Das Barbareum genannte Seminar sollte der Ausbildung der griechisch-katholischen Geistlichkeit im Habsburgerreich dienen. Schon 1784 wurde das Seminar wieder aufgehoben und eine Pfarre errichtet. 1849–1854 wurde das nördlich der Kirche gelegene und 1767–1773 erbaute Hauptmautgebäude mit der Kirche und dem Barbarastift zu einem großen zusammenhängenden Baukomplex der Hauptpost zusammengefasst.
1852 schufen Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg (die beiden hatten die Wiener Staatsoper am Ring erbaut) das heutige frühhistoristische Eckhaus zwischen Dominikanerbastei, Barbaragasse und Postgasse (Hauptadresse Postgasse 6). 1867 wohnte hier Johannes Brahms.
Parallel dazu befindet sich gleich die Predigergasse, eröffnet 1854, benannt 1862, vorher Dominikanergasse; an der Stelle des nördlich der Dominikanerkirche bestandenen Predigerfreithofs bauten die Jesuiten 1652 ein Schulgebäude und ein Miethaus. Hierher bringe ich jene Kleidungsstücke, die gestopft werden müssen, denn hier gibt es eine Kunststopferei!
Wenn man nun die Postgasse weiterverfolgt, trifft man – auf der anderen Seite – sogleich auf die Bäckerstraße. Sie geht auf einen frühmittelalterlichen Marktplatz zurück und besitzt heute die besterhaltenen Renaissance-Bürgerhäuser der Wiener Innenstadt.
Im 11. Jahrhundert entstand knapp nördlich der Verlängerung der ehemaligen Via principalis dextra vor den Mauern des alten Römerlagers bzw. der babenbergerzeitlichen Stadtmauer Wiens ein linsenangerförmiger Marktplatz. Hier siedelten sich auswärtige Kaufleute an, wie aus den Bezeichnungen Kölner Hof oder Regensburger Hof heute noch ablesbar ist. Sie brachten Waren aus dem Westen über die heutige Mariahilfer Straße und den Kohlmarkt hierher, um sie zu lagern und zu verkaufen. Möglicherweise fand damals auch schon ein Weiterverkauf nach Osten statt, obwohl das Stapelrecht erst ab 1221 bestand. Ende des 12. Jahrhunderts wurde der Marktplatz von der neuen Stadtmauer eingeschlossen und lag nun innerhalb Wiens. Da von hier aus aber kein direkter Zugang zu einem Stadttor bestand, war die Gegend gegenüber der benachbarten Wollzeile, die zum Stubentor führte, benachteiligt und verlor allmählich ihre wirtschaftliche Bedeutung. Infolge dieser Umstände benötigte man bald keinen Marktplatz in der ursprünglichen Größe mehr und baute deshalb in seiner Mitte sukzessive eine Häuserzeile ein, die mit dem Regensburger Hof beginnt. Dadurch entstanden aus dem ehemaligen Platz zwei parallel verlaufende Straßen, die seit dem beginnenden 14. Jahrhundert als Obere und Untere oder Vordere und Hintere Peckenstraße bezeichnet wurden, da in dem Gebiet einige Bäcker ihr Gewerbe ausübten. Der ehemalige nördliche Teil des Marktplatzes, die Untere Bäckerstraße, heißt heute Sonnenfelsgasse.
Nun war es schon spät geworden, ich musste noch zu meinem Fleischhauer in der Postgasse, daher kann ich für Sie Renaissancehäuser in der Bäckerstraße nicht mehr einzeln beschreiben. Vielleicht ein andermal, bei einem weitern Spaziergang durch mein Wien.