Das war ein Familientreffen „der anderen Art“. Mein Schwiegerenkel hat unsere und seine Familie (jeweils die Kleinversionen) eingeladen, ihn zu einem Vortrag ins AudiMax zu begleiten, über ein Thema, das ihn sehr interessiere. Getroffen haben wir uns bei mir – diese Kleinfamilienausgabe (10 Personen und ein Baby) zu einer Jause um dann zu dem Vortrag zu gehen.
Wie schon einmal erwähnt: wenn man alt wird, vergrößern sich die Clans durch die Einbringung neuer Familien. Das ist sehr erfreulich, denn man trifft dabei interessante und sehr nette Menschen. Es mögen einander also nicht nur die Enkelkinder, auch deren Altvordere können allerhand miteinander anfangen. Der einzige Wermutstropfen bei diesem Treffen ist, dass meine Geschirrwaschmaschine „spinnt“, das muss ich versuchen beheben zu lassen.
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal im Audi-Max gewesen bin, der Eingang dorthin ist jetzt modernisiert und sehr übersichtlich. Der riesige Raum war bis auf den letzten Platz gefüllt, wir saßen allesamt sehr weit vorne. Der Titel der Veranstaltung war: „Leben mit den letzten Jägern und Sammlern“.
Während wir ankamen, wurde auf der Riesenleinwand – Werbung gezeigt, naja, jeder muss sich finanzieren. Und dann kam eine Einleitung von „Allesleinwand“ wobei über die zukünftigen Veranstaltungen berichtet wurde, z.T.im AudiMax, im Alten AKH und in der Stadthalle. Auch Reisemöglichkeiten wurden aufgezeigt, „weit abseits touristischer Pfade“.
Dann gehörte das Podium dem begnadeten Vortragenden Khaled Hakani, er sprach völlig frei, und er ist in der Lage Ernstes und Wesentliches witzig vorzutragen. 95% der Menschheitsgeschichte haben wir als Jäger und Sammler zugebracht meint Hakani. Aber wie lebt man in einer Gesellschaft ohne festen Wohnsitz, ohne Geld und Eigentum, ohne Hierarchie? Wie unterhält man sich ohne Kunst, Musik und Literatur? Wie erziehen Menschen ihre Kinder ohne formale Bildung? Woran glaubt man in einer Gesellschaft ohne Religion oder Humanismus? Wie denkt man ohne Vergangenheit und Zukunft?
Gemeinsam mit einem Forscherkollegen verbrachte Hakani viele Monate im Dschungel. Wurde von den Maniq zwar respektiert und angenommen, aber von den Jägern und Sammlern im Regenwald zumeist ausgelacht und war die meiste Zeit mit dem Überleben im Regenwald beschäftigt. Derzeit gibt es weltweit vermutlich nur noch rund fünf bis zehn Jäger- und Sammlergesellschaften, die weitgehend unberührt leben. In 10-15 Jahren wird es auch die Maniq in dieser Form wohl nicht mehr geben. Der Umgebungsdruck, die Abholzung des Regenwaldes, lassen dieser Gesellschaftsform keine Chance.
Hakani ist sehr bemüht, die allgemein bekannten Vorstellungen von Steinzeitmenschen, die auch jetzt noch in den Schulen gelehrt werden, zu widerlegen. Er meint, dass wir – wahrscheinlich durch unsren Fortschrittsglauben diese Vergangenheit bewusst negativ – „primitiv“ darstellen. Er meint, dass Menschen nie in Höhlen gelebt haben und daher der Begriff Höhlenmensch einfach falsch wäre. Wir erachten uns als „zivilisiert“ und daher diesen Jägern und Sammlern überlegen. Uns hinwieder betrachten jene wenigen, noch existieren, den, durch die Abholzung der Regenwälder extrem bedrohten Jäger und Sammler als „weird“- komisch. Bei der Jagd, so mussten die Forscher erfahren, waren sie nicht willkommen, denn sie wären zu langsam, zu laut und sie würden stinken (denn westliche Menschen schwitzen im Dschungel, während die Jäger und Sammler dies eben nicht tun).
Diese Jäger und Sammler leben nur „in der Gegenwart“, sie sind mit ca. 6-7 Jahren „erwachsen“, d.h. sie haben alles gelernt, das in diesem Lebensraum für sie erforderlich ist. Sie leben in egalitären Gesellschaften, es gibt keinerlei Hierarchie, weder zwischen Mann und Frau noch zwischen Älteren und Jüngeren, aber es gibt nicht codierte Regeln des Zusammenlebens, die ohne, die von uns so geschätzte Privatsphäre abläuft. Es gibt kein Privateigentum, jeder nimmt sich, man gibt nicht. Wenig Arbeitsteilung ist im Gegensatz zu unseren Gesellschaften erforderlich Man lebt in Kleingruppen zusammen, so ca. 150 Personen, jeder kennt jeden und weiß alles über ihn oder sie.
Die Lebenserwartung dieser Menschen, die eher kleinwüchsig sind, ist relativ hoch, 60 – 70 Jahre, sie sind sehr früh reif und bekommen – für uns sehr frühzeitig Kinder. Sie sind nicht neugierig auf westliche Kultur oder Menschen, wohl aber interessiert an der Lebensweise anderer Jäger und Sammler. Sie scheinen für uns nicht ehrgeizig zu sein, denn das Konzept des „Gewinnens, Rankings etc.“ ist ihnen komplett fremd. Es wird nicht gelobt.
Es gibt nur wenig „Zahlen“, also es gibt eins, es gibt zwei und es gibt dann nur mehr viele. Aber ganz stimmt das auch nicht mit unserem Zählsystem zusammen. Denn ein großer Fisch ist eins, aber im Vergleich dazu können zwei Kleine Fische auch eins sein. Es gibt auch in der Sprache weder Vergangenheits- noch Zukunftsformen. Wenn, geht man überhaupt nur eine „Einheit“ zurück und voraus – morgen und gestern. In größeren Dimensionen werden „Generationen“ verwendet – „Dein Vater“, aber weiter geht Vergangenheit nicht.
Geschlafen wird „intermittierend“, jeweils 2 Stunden am Stück – auch um das Feuer (gegen Insekten etc.) am Brennen zu erhalten. Gearbeitet wird nur, wenn es notwendig ist, meist nur 2 – 3 Stunden am Tag, erst wenn keine Nahrung mehr vorhanden ist, wird wieder gejagt. Gejagt wird je nach Beute mit unterschiedlichen „Waffen“, z.B. auch mit Blasrohren – mühsame Herstellung – und Giftpfeilen. Gejagt wird nicht jeden Tag, gesammelt schon. Es gibt keine fixe Geschlechterzuordnung bei Sammeln bzw. Jagen.
Aber die Menschen sind gepflegt, sich waschen sich, die Haare werden geschnitten, man rasiert sich Aber dann gibt es wieder keine Rituale, es wird nicht gesungen oder getanzt.
Dass sich eine nomadisierende Gesellschaft – die immer wieder zur Nahrungssuche aufbrechen muss, nicht mit Behinderten belastet, ist irgendwie verständlich, daher tritt zuweilen selektive Kindestötung – bis zum Alter von 3 Wochen auf. Es kann auch zu Pädophilie kommen, eben weil es eine vollkommen egalitäre Gesellschaft ist. Es gibt keinen Jenseitsglauben, kein Begräbnis, aber auch keine Angst vor dem Tod. Wesentlich ist es, als gemeinsames Anliegen, die Gruppe zu schützen, wird die Gruppe durch ein Mitglied verletzt: wird zuerst ausgelacht, dann ausgeschlossen und in Ausnahmefällen getötet.
Es wurde noch viel mehr und sehr launig erzählt und „bebildert“.
Jedenfalls eines weiß ich sicher: ich lebe lieber in unserer Gesellschaft, auch wenn ich noch so abhängig von anderen bin – was sich spätestens zeigt, wenn man gleichzeitig die Schlüssel, das Geld/die Bankomatkarte und das Handy verliert.