der Präsident des Kosovo wird angeklagt
Gestern am Abend habe ich in den Nachrichten gehört, dass Hashim Thaçi angeklagt werden soll. Hashim Thaçi ist mir seit Jahren „vertraut“, nein, nein, nicht wie Sie vielleicht glauben, ich kenne ihn nicht persönlich. Ich habe vor Jahren ein Buch über die Zerfallskriege von Jugoslawien geschrieben. Dort ist er als Führer der UCK prominent vorgekommen und ich viel über ihn gelesen. Es war mein erstes Buch, das ich geschrieben habe und hieß: „Wenn Kreuz und Halbmond brennen – Religion und Balkankrieg“.
Die Anklage des Haager Sondertribunals für das Kosovo legt dem kosovarischen Präsidenten Hashim Thaçi Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last. Die Anklageschrift muss noch von einem Richter bestätigt werden, bevor es zu einem Prozess kommen kann.
Thaçi war zur Zeit des Kosovo-Krieges 1999 politischer Sprecher und Verhandlungsführer der „Befreiungsarmee Kosovo“ (UCK). Die Anklage bezichtigt Thaçi sowie mehrere weitere Personen, für nahezu 100 Morde verantwortlich zu sein. Die Opfer der anderen Thaçi zur Last gelegten Verbrechen seien „Hunderte“ von Albanern, Serben, Roma und Angehörige anderer Ethnien. Unter anderem geht es um Mord, Folter und Verfolgung.
Erhoben wurde die Anklage bereits am 24. April; sie wurde aber zunächst nicht öffentlich gemacht. Wenn man sich nun doch zur Veröffentlichung entschlossen habe, so deshalb, weil Thaçi versucht habe, die Arbeit des Gerichts „zu blockieren und zu untergraben“. Man glaube, Thaçi habe eine „geheime Kampagne“ gegen das Kosovo-Tribunal geführt mit dem Ziel, es abzuschaffen. Das 2015 in Den Haag eingerichtete Sondertribunal befasst sich speziell mit Verbrechen, die Mitglieder der UCK während des Krieges begangen haben sollen.
Hashim Thaçi (* 24. April 1968) studierte Geschichtswissenschaft an der Universität Pristina. 1989 war er Mitorganisator der albanischen Studentenproteste im Kosovo. Während seiner Arbeit als Studentenaktivist bis 1991 wurde Thaçi erster Vorsitzender der albanischen Studenten-Untergrundbewegung an der Universität Pristina. 1992 reiste er zunächst nach Albanien aus. Dort arbeitete er in konservativen Gruppierungen, die sich für eine Vereinigung aller albanischen Siedlungsgebiete einsetzten. 1993 wurde er in Albanien wegen illegalen Waffenbesitzes angeklagt.
Thaçi wanderte über Österreich in die Schweiz aus, wo er sich als Student der Politischen Wissenschaften an der Universität Zürich einschrieb. 1995 erhielt er in der Schweiz den Status eines anerkannten politischen Flüchtlings. Hashim Thaçi arbeitete in der Schweiz weiter in politischen Exilgruppen, etwa seit 1993 als Führungsmitglied der im Entstehen begriffenen „Befreiungsarmee des Kosovo“ (albanisch Ushtria Çlirimtare e Kosovës), der UÇK, die den bewaffneten Aufstand gegen das damals serbisch dominierte Jugoslawien durchführte. Von dort organisierte er den Waffenschmuggel ins Kosovo sowie Finanzierung und Ausbildung der UÇK; dabei bewegte er sich zwischen der Schweiz, Albanien und dem Kosovo. Wegen Überfällen auf jugoslawische Polizeieinheiten und Kasernen in den Jahren 1993 bis 1996 verurteilte ihn 1997 ein Bezirksgericht in Priština wegen terroristischer Anschläge in Abwesenheit zu zehn Jahren Gefängnis.
Während der bewaffneten Auseinandersetzungen 1998 war er UÇK-Kommandeur in der Region Mališevo/Malisheva. Am 13. August 1998 wurde Thaçi zu einem der politischen Vertreter des Generalstabs der UÇK ernannt. In der Folgezeit war er faktisch politischer Führer der UÇK. Im Februar 1999 wurde er wegen mehrerer terroristischer Anschläge auf jugoslawische Polizisten zur Fahndung ausgeschrieben.
Für mich schien der Befreiungskrieg der damaligen Region Kosovo auf zwei Ebenen geführt zu werden, einerseits fand ein Luftkrieg der USA gegen Serbien statt, die Bodentruppen, die diese Lufttruppen unterstützten war die UÇK.
Im Februar 1999 führte Hashim Thaçi die kosovo-albanische Delegation bei den Verhandlungen von Rambouillet. Die Vereinigten Staaten galten als wichtigster Verbündeter Kosovos. Am 2. April ernannte ihn die UÇK zum Ministerpräsidenten einer Übergangsregierung; von dieser Zeit an galt Thaçi als neuer politischer Führer der UÇK. Als solcher unterzeichnete er auch die Erklärung zur Entwaffnung und Demobilisierung der UÇK nach dem Einmarsch der NATO im Kosovo.
Vom Juni 1999 bis zur Auflösung im Dezember 1999 bezeichnete sich Hashim Thaçi als Chef einer UÇK-geführten Regierung des Kosovo – in Konkurrenz zu einer weiteren kosovarischen und einer jugoslawischen Regierung, die alle drei von der für das Kosovo maßgeblichen UN-Mission UNMIK nicht anerkannt wurden. Im Gegensatz zu den beiden anderen Konkurrenten konnte sich Hashim Thaçi allerdings auf eine breite und weitgehend bewaffnete Anhängerschaft der ehemaligen UÇK stützen; viele UÇK-Anhänger versuchten eigenständige Regionalverwaltungen zu errichten. Von Dezember 1999 an war er Mitglied im von der UNMIK eingerichteten provisorischen Verwaltungsrat des Kosovo.
1999 erfolgte die Gründung der Nachfolgeorganisation der UÇK, die Partia Demokratike e Kosovës (PDK); seither ist Hashim Thaçi deren Vorsitzender. Bei den ersten Wahlen um das Kosovarische Parlament am 17. November 2001 erhielt die PDK 25,7 Prozent der Stimmen und 26 Parlamentssitze und übernahm mit Ibrahim Rugovas Lidhja Demokratike e Kosovës die Regierung. Nach den Wahlen 2004 (28,9 Prozent und 30 Sitze) ging die PDK als zweitstärkste Partei in die Opposition.
Bei den kosovarischen Parlamentswahlen 2007 wurde die PDK mit 34 Prozent der Wählerstimmen Wahlsiegerin und ein Machtwechsel fand statt. Thaçi wurde neuer Ministerpräsident.
Hashim Thaçi, das damalige Staatsoberhaupt Fatmir Sejdiu, Parlamentspräsident Jakup Krasniqi und viele andere Politiker erklärten am 17. Februar 2008 im kosovarischen Parlament in Pristina die Unabhängigkeit der Republik Kosovo. Thaçi, Sejdiu und Krasniqi waren die Mitunterzeichner der Unabhängigkeitserklärung.
Am 24. Oktober 2010 wurde Hashim Thaçi als Vorsitzender seiner Partei wiedergewählt. Das Kosovo hat wie der gesamte westliche Balkan eine europäische Perspektive, das heißt die Aussicht, eines Tages der Europäischen Union beizutreten. Der Weg dahin wird noch lange dauern.