Das Fräulein

Zu mir sagte man noch Fräulein, als ich jung und unverheiratet war. Auch junge Frauen, die ein Studium abgeschlossen hatten, wurden mit „Fräulein Doktor“ angesprochen. Mich hat es damals nicht gestört, dass es kein Herrlein gab, es ist mir eigentlich nicht aufgefallen. Schließlich gab es im englischsprachigen Raum die Miss und in Frankreich die Mademoiselle, ebenso wie die Signorina oder die Senorita. Ich fand das „normal“.

Schließlich waren uns auch folgende Werke durchaus vertraut: Das Fräulein von Scuderi von E.T.A. Hoffmann (1819/21), Fräulein Julie von August Strindberg (1888), Fräulein Else von Arthur Schnitzler (1924), und viel viel später als die Zeit der Fräuleins schon vorbei war: Fräulein Smillas Gespür für Schnee von Peter Høeg (1992).

Na, und nicht zu vergessen, Goethes Faust: „Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, / Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?“ Darauf die Antwort: „Bin weder Fräulein, weder schön, / Kann ungeleitet nach Hause gehn.“ Dazu ist wiederum zu bemerken, dass in der Zeit vor dem 19. Jahrhundert die Anrede „Fräulein“ auf Standespersonen beschränkt war. „Frau“ oder mittelhochdeutsch „frouwe“ war keine Geschlechtsbezeichnung (dafür gab es „Weib“), sondern die Bezeichnung einer Adeligen, so wie auch „Herr“ keine Anrede für jedermann, sondern für den Lehnsherren war. Entsprechend bezeichneten das „Fräulein“ die Fürstentochter und der „Junker“ – der ‚junge Herr‘ – den Fürstensohn, während die „Jungfer“ bzw. der „Jungmann“ junge Frauen und Männer unabhängig von ihrem sozialen Stand bezeichneten.

Damals, als ich noch ein Backfisch war, das stand das für Teenager, wurde man rot und kicherte, wenn man als Fräulein angesprochen wurde. Der Gipfel fürs Rotwerden, war dann etwa noch die Ansprache: „Küss die Hand“.

Aber schon damals – Nachkriegszeit – gab es auch einen pejorativen Bezug des Wortes „Fräulein“: Besatzungssoldaten im damals vierfachbesetzten Österreich bezeichneten junge Frauen, die mit ihnen anbandelten (um eventuell Zigaretten oder Nylonstrümpfe zu ergattern) als Fräulein.

Andererseits sprach man zu dieser Zeit auch vom „Fräuleinwunder“. Dieser Ausdruck wurde in den 1950er-Jahren in den USA geprägt und stand für junge, attraktive, moderne, selbstbewusste und begehrenswerte Frauen der deutschen Nachkriegszeit, entgegen dem Bild der abgerackerten „Trümmerfrauen“. Das waren jene Frauen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in vielen deutschen und österreichischen Städten daran beteiligt waren, die durch den Krieg angerichteten Schäden zu beseitigen. Sie waren gemeinsam mit bezahlten Aufräumarbeitern, Kriegsgefangenen und zwangsverpflichteten ehemaligen Nationalsozialisten eine an den Aufräumarbeiten beteiligte Gruppe, also verstaubt, grau, unansehnlich. Viele dieser Frauen waren zum Trümmerräumen zwangsverpflichtet worden, da sie Nationalsozialistinnen gewesen waren. Bei freiwilligen Trümmerfrauen war die Arbeit oft eine Überlebensstrategie, da man für die Tätigkeit bessere Lebensmittelkarten erhielt.

Fräulein (kurz Frl.) war bis in die 1970er-Jahre hinein die förmliche Anrede für unverheiratete Frauen, unabhängig von ihrem Alter. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert etablierte sich die Anrede Fräulein vor allem für berufstätige Frauen (etwa Angestellte in Warenhäusern, Kellnerinnen und Lehrerinnen), da weibliche Berufstätigkeit damals noch strikt auf die Zeit vor der Ehe beschränkt war. Meine Volksschullehrerin im oberösterreichischen Mühlviertel wurde in der Nazizeit als „Fräun“ (=Fräulein) angesprochen. Im Deutschen Reich gab es den Lehrerinnenzölibat, der festlegte, dass weibliche Lehrkräfte unverheiratet sein mussten!

Schon 1928 schaffte das österreichische Bundeskanzleramt die Anrede „Fräulein“ im öffentlichen Dienst per Erlass ab. Mit dem Runderlass des Reichsministers des Innern Wilhelm Frick 1941 mussten Frauen beim Standesamt die Erlaubnis beantragen, sich als „Frau“ benennen zu dürfen. Die Erlaubnis war in die Kennkarte einzutragen. Ohne Eintrag in der Kennkarte war die Benennung als „Frau“ verboten. Bei jedem Wohnortwechsel musste erneut eine Beantragung erfolgen. Dies betraf auch uneheliche Mütter und ledige Adoptivmütter.

Eigentlich ist die Anrede Frau oder Fräulein nichts anderes als die offizielle Einteilung und Wertung des ganzen weiblichen Geschlechts nach seiner erklärten Beziehung zum Mann. Der Personenstand ist beim Mann Privatangelegenheit, bei der Frau aber Gegenstand öffentlichen Interesses. Mitte der 1970er wurde der letzte behördliche Vordruck, auf dem ein „Fräulein“ vorkam, vernichtet.

Ab den 1970er-Jahren wurde die Verkleinerungsform „Fräulein“ wegen der gesellschaftlichen Werte und Vorstellungen, die darin zum Tragen kämen, zunehmend kritisiert: Einerseits löst das sächliche Genus (ähnlich bei das Weib) unerwünschte Assoziationen aus (als ob weibliche Personen Sachen wären), andererseits wird durch den Gebrauch der Unterscheidung zwischen Fräulein und Frau die Ansicht gefördert, wonach eine weibliche Person erst dann als erwachsene Frau gelten könne, wenn sie heirate, während einem jungen unverheirateten Mann dadurch, dass man ihn „Herr“ nenne, signalisiert werde, dass man ihn für einen vollwertigen Mann halte.

Überlebt hat das Wort „Fräulein“ manchmal noch als Anrede für eine Kellnerin, aber auch diese Verwendung wird immer seltener. Wem war es nicht peinlich, eine ältere Frau, die in einem Restaurant, Kaffeehaus etc. als Kellnerin arbeitete, mit „Fräulein“ zu rufen (was wären die Alternativen gewesen?).  Jedenfalls gilt diese Bezeichnung nicht als ehrverletzend, sondern in der Gesamtschau der Umstände ist das Verhalten allenfalls unfreundlich und von mangelnder Kompromissbereitschaft geprägt.

Die Zeiten des Fräuleins sind hiermit endgültig vorbei. Zum Glück!

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Das Fräulein

4 Gedanken zu “Das Fräulein

  1. Andreas Pesendorfer schreibt:

    Wie beim Gendern.
    Entspricht dem Geist der Zeit bis der Geist soweit ist darauf verzichten zu können.

    Ich brauchte es nicht, bin aber dabei es mir anzugewöhnen.

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  2. In der Gastwirtschaft finde ich „Fräulein“ freundlicher als „Bedienung!“, aber in der Praxis vermeide ich beides.
    Da ist ja auch die Anrede der Gäste in der dritten Person (zu meiner Freude) verschwunden.
    In den Niederlanden und Flandern habe ich für junge Menschen, die recht eindeutig noch nicht auf eigenen Füßen stehen, noch vor gar nicht langer Zeit die Anreden „Jonkheer“ und „Juffrouw“ gehört. Es ist seltsam, wenn Teenies als „Herr“ und „Frau“ oder Monsieur und Madame angesprochen werden. Und wenn eine 15jährige als „junge Frau“ bezeichnet wird, ebenso wie am anderen Tag eine 40jährige. Bei Männern fällt das „jung“ viel eher fort. 🤔

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