Ich bin nicht einmal mehr sicher, ob Putin alles weiß
In Kriegszeiten ist die Wahrheit so wertvoll, dass sie von einer Schutztruppe aus Lügen bewacht werden muss, meinte schon Sir Winston Leonard Spencer-Churchill (1874 – 1965). Wir können nur lesen, sehen oder hören was so berichtet wird. Was davon sind Lügen, was davon Wahrheiten, manches wird erst die Geschichte zeigen.
Dennoch lese ich alle Berichte zu diesem fürchterlichen Krieg, derer ich habhaft werden kann.
Aber: Entführungen, Vergewaltigungen und die Deportation von Zivilisten: Den russischen Besatzern werden von der Ukraine schwere Verstöße gegen das Völkerrecht vorgeworfen. Nun, das glaube ich, denn ich habe derartiges zu Ende des Zweiten Weltkriegs in Oberösterreich selbst gesehen. Die russischen Soldaten sollen in den eroberten Gebieten plündern, morden und gezielt Politiker, Journalisten und Aktivisten verschleppen, um die Bevölkerung einzuschüchtern. Von Dutzenden ukrainischen Bürgermeistern, Journalistinnen, Priestern und Vertreterinnen der Zivilgesellschaft in den besetzten Gebieten fehlt jede Spur. Es wird angenommen, dass sie in der Gewalt des russischen Geheimdiensts sind.
Nach der Entführung des Bürgermeisters von Melitopol Mitte März warf der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Moskau einen Verstoß gegen die Genfer Konventionen vor, die es verbieten, im Krieg zivile Geiseln zu nehmen. Der Bürgermeister Iwan Federow hatte sich geweigert, nach der Einnahme von Melitopol mit den Besatzern zu kooperieren. Wir haben in gestern in den Nachrichten hier gesehen, er war auf Besuch bei unserem Wiener Bürgermeister. Seine Aussagen scheinen mir durchaus glaubwürdig. Auch in den jetzt Volksrepubliken genannten Gebieten im Donbass sind seit 2014 Gegner der prorussischen Separatisten bedroht, entführt und ermordet worden.
Anders als auf der Krim im Februar 2014 sind ukrainische Lokalpolitiker dieses Mal kaum zur Zusammenarbeit bereit. Damals hatten auf der ukrainischen Halbinsel viele Bürgermeister rasch eingewilligt, mit den russischen Besatzern zu kooperieren. Auch in anderen Gebieten im Osten der Ukraine sympathisierten damals viele gewählte Politiker und Vertreter der Behörden mit Russland oder verhielten sich abwartend. Dieses Verhalten ermutigte Präsident Putin vielleicht, diesen Krieg gegen die Ukraine zu beginnen. Heute dagegen stoßen die russischen Truppen praktisch überall auf Ablehnung. In besetzten Städten wie Cherson und Melitopol gab es über Tage Proteste von Bürgern gegen die Besetzung. Erst der Einsatz von Tränengas, Schlagstöcken oder scharfer Munition beendete die Demonstrationen. Mit der Entführung von Bürgermeistern und anderen Persönlichkeiten hoffen die Russen offenbar, die Bevölkerung einzuschüchtern und den Widerstand zu brechen. Aber diese von Russen eingesetzten Funktionäre stoßen meist auf Ablehnung.
So gibt es Berichte über die Plünderung von Geschäften durch russische Soldaten. Auch gibt es Vorwürfe, diese würden ukrainische Frauen vergewaltigen. Ja, auch das glaube ich! Die ukrainische Regierung warf Moskau vergangene Woche vor, 6000 Personen aus der belagerten Hafenstadt in Lager verschleppt zu haben, um sie als Geiseln zu benutzen. Zugleich würden die Russen humanitäre Konvois blockieren oder beschießen, um zu verhindern, dass die Zivilisten aus der Stadt in ukrainisch kontrollierte Gebiete flöhen. Diese Verschleppten würden dann auch zu Zwangsarbeit eingesetzt. Auch das erscheint mir glaubwürdig.
Während die Berichte über Entführungen, Vergewaltigungen und Morde in den besetzten Gebieten bei den Ukrainern für Schrecken sorgten, gab es auch auf ukrainischer Seite Hinweise auf Kriegsverbrechen. So tauchte am Sonntag ein Video in den sozialen Netzwerken auf, das die brutale Misshandlung gefangener Russen durch ukrainische Soldaten zu zeigen scheint.
Bei mir lösen alle diese Berichte ein Deja-Vu Erlebnis aus. So sah damals das Kriegsende (für mich als Kind) 1945 aus. Ich kann nicht glauben, dass diese Methoden der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts sich jetzt und heute wiederholen. Hat den niemand etwas aus dem zweiten Weltkrieg gelernt? Oder versucht Putin ein „Erfolgsmodell“ einfach zu wiederholen, dafür spräche auch der Vorwand „Faschisten“ vertreiben zu müssen.
Ich habe überhaupt den Eindruck, dass Putin nicht immer weiß, was wirklich vorgeht. Z.B. Russland hat für Donnerstag eine Feuerpause für die schwer zerstörte südukrainische Hafenstadt Mariupol angekündigt. Diese sollte die Möglichkeit schaffen, Zivilisten über einen humanitären Korridor herauszuholen, erklärte das russische Verteidigungsministerium am Mittwoch. Der russische Präsident Wladimir Putin betonte indes, dass die Bedingungen für einen Waffenstillstand im Ukraine-Konflikt vorerst nicht vorhanden sind. Was nun?
Putin hat angekündigt, dass Truppen von Kiew abgezogen würden. Lange hat sich diesbezüglich nichts getan. Jetzt erst berichten Quellen aus den USA, dass nur ca. 20% der russischen Truppen sich in Richtung Belarus zurückgezogen hätten (von dort sind sie ja jederzeit wieder überall einsatzbereit).
Vor einer Woche hat Kremlchef Wladimir Putin angekündigt, russisches Gas an westliche Staaten künftig nur noch gegen Rubel zu verkaufen. Aber erst jetzt will er sich mit Vertretern des Gasriesen Gazprom und der Zentralbank über Modalitäten dafür beraten. Hätte er das nicht vorher tun müssen?
Aber natürlich ist die Lüge eine starke Waffe in Zeiten von Informationskriegen! Und es ist schwer, sie immer von der Wahrheit zu unterscheiden.