Russen stehlen ukrainisches Getreide
Kreml-Chef Wladimir Putin frohlockte Mitte Mai bei einem Treffen hochrangiger Wirtschaftsvertreter in Moskau: „Wenn das geschieht, wovon wir ausgehen, könnte das ein neuer Rekord in der russischen Geschichte sein.“ Denn Russlands Präsident rechnet mit neuen Bestmarken bei der Getreideernte und beim Export vor allem von Weizen.
Dass Russland in diesem Jahr so viel Getreide verkaufen kann, liegt allerdings nicht allein am Wetter, sondern vermutlich auch an einem großangelegten Raubzug im Zuge des Angriffskrieges gegen die Ukraine. Seit Wochen häufen sich die Berichte, dass Moskau in den besetzten Gebieten gezielt Silos plündert, um das Getreide gewinnbringend zu verkaufen.
Laut eines Berichts von Forschern im Auftrag des ukrainischen Landwirtschaftsministeriums habe Russland bereits Getreide im Wert von 613 Millionen US-Dollar aus den besetzten Gebieten vor allem im Süden des Landes abtransportiert. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen schätzt, dass der Ukraine allein bis Anfang Mai rund 700.000 Tonnen Getreide gestohlen wurden.
Aus meiner Zeit der russischen Besatzung Österreichs sind mir manche russische Wörter in Erinnerung geblieben: z.B. Puschka (Gewehr), dawai (schnell) und sabrali (stehlen). Letzteres betraf sowohl persönliches Eigentum als auch Staatliches (so genanntes Deutsches Eigentum, das aber Österreich gehört hatte: z.B. Zistersdorfer Öl).
Die britische BBC hat nun nachzeichnen können, wie und wohin das Getreide abtransportiert wurde. Die Recherchen zeigen auch, wie systematisch Russland bei dem Diebstahl vorging. Mithilfe von Zeugenaussagen ukrainischer Bauern, der Analyse von Satelliten- und Überwachungsbildern sowie Bewegungsdaten von Lastwagen und Schiffen fand die BBC heraus, wie gezielt russische Truppen offenbar dabei vorgingen. Sie zwangen ukrainische Bauern, ihr Getreide zu Preisen deutlich unter Marktwert zu verkaufen. In etlichen Fällen, gerade in den Wochen unmittelbar nach der Großinvasion, wurde ihnen die Ware einfach gestohlen.
Russland gelangt nach Aussage betroffener Bauern und Agrarunternehmer auf verschiedene Arten an das Getreide. Die Besatzer würden teilweise Ernten von Bauern, die aufgrund der Kriegshandlungen ihre Betriebe verlassen haben, beschlagnahmen. In anderen Fällen kaufen russische Offizielle das Getreide auch ab, jedoch zu Preisen, die nach Aussage der Betroffenen oft weit unter dem Vorkriegsniveau lägen.
Das Getreide wurde dann in den meisten Fällen mithilfe von – teils ebenso entwendeten – Lkw zuerst auf die Krim gebracht. Satellitenaufnahmen zeigen auffällig lange Lkw-Staus an den Kontrollstellen zwischen den besetzten ukrainischen Gebieten und der bereits 2014 von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel.
Auf der Krim wurde das Getreide umgeladen: Es wurde entweder mit Zügen und über die Brücke über die Straße von Kertsch nach Russland transportiert. Oder es wurde zu den Schwarzmeerhafen in Sewastopol und Kertsch geschafft und von dort ebenfalls nach Russland oder ins Ausland verschifft. Satellitenaufnahmen des Hafens von Sewastopol würden der BBC zufolge außergewöhnlich hohe Aktivitäten von Frachtschiffen am dortigen Getreideterminal zeigen.
Zudem versucht Russland offensichtlich die Herkunft des erbeuteten Getreides zu verschleiern. Zum einen würden Frachtschiffe unerlaubterweise ihre Tracker ausschalten, sodass ihre Route nicht mehr nachzuvollziehen ist. Der ukrainische Ökonom Andriy Klymenko vom Kiewer Institute for Black Sea Strategic Studies nennt weitere Vorgehen: „In der Straße von Kertsch laden sie ukrainisches Getreide von kleinen Schiffen auf Massengutfrachter um, wo es mit russischem Getreide vermischt wird – oder sie fahren in einigen Fällen in dieses Gebiet, nur um den Anschein zu erwecken, sie würden russisches Getreide laden“, sagte Klymenko der BBC. In jedem Fall bekomme das Getreide russische Zertifikate für den Export.
Entsprechend dem Völkerrecht ist dies ein mögliches Kriegsverbrechen!
Zielländer seien unter anderem die Türkei und Syrien. Beide Länder hatte auch die „New York Times“ in einem Bericht Anfang Juni als Empfänger von „gestohlenem ukrainischen Weizen“ ausgemacht. Die US-Tageszeitung hatte über mehrere Frachtschiffe berichtet, die zuvor von Russland kontrollierte Häfen verlassen hatten. Ebenso hatte der ukrainische Botschafter in der Türkei Moskau beschuldigt, ukrainisches Getreide zu stehlen und dieses vor allem an die Türkei zu liefern. Ankara konnte laut eigener Aussage jedoch keine Hinweise dafür finden.
Der türkische Außenminister Mevlut Çavuşoğlu betonte, dass kein Verkauf von gestohlenem Getreide in der Türkei erlaubt würde. Die Türkei werde Vorwürfe von Getreideschmuggeln genau untersuchen. Anfang Juli setzten türkische Behörden einen russischen Frachter mit angeblich gestohlenem Getreide fest, ließen diesen nach einer Überprüfung allerdings wieder frei. Die Ukraine warf daraufhin der Türkei vor, selbst von russischem Getreidediebstahl zu profitieren. Dass dies dennoch der Fall sein könnte, legen die aktuellen Recherchen jedoch nahe.
US-Außenminister Antony Blinken bezeichnete aber die Berichte, wonach Russland ukrainisches Getreide beschlagnahmt, um dieses selbst zu verkaufen, als „glaubwürdig“. Die US-Regierung wies deshalb 14 überwiegend in Afrika gelegene Länder, für welche der Weizen eigentlich bestimmt sei, auf die Vorgänge hin.
Vor der russischen Invasion war die Ukraine der weltweit viertgrößte Exporteur von Weizen und Mais.
Russki sabrali!