Gedanken zu relativer Armut

In Zeiten wie diesen, mit stetig steigenden Preisen und daher hoher Inflation kommt es häufig zu Armut.

Armut bezeichnet im materiellen Sinn (als Gegenbegriff zu Reichtum) primär die mangelnde Befriedigung der Grundbedürfnisse (vor allem nach Nahrung, Wasser, Kleidung, Wohnraum, Gesundheit). Der Mangel an Geld ist hingegen nicht zwangsläufig mit Armut gleichzusetzen, sofern Möglichkeiten vorhanden sind, mit denen die Bedürfnisse anderweitig gedeckt werden können (z.B. Eigenproduktion – in der Landwirtschaft). Prinzipiell ist Armut ein soziales Phänomen, das als Zustand gravierender sozialer Benachteiligung verstanden wird.

Arm habe ich mich immer nur im Vergleich mit anderen gefühlt, z.B. während meiner Gymnasialzeit – manche meine Mitschülerinnen kamen aus sehr wohlhabenden Verhältnissen, bei uns zu Hause herrschte nie Hunger, aber meine Mutter empfand es als Schande z.B. um ein Stipendium für mich anzusuchen. Denn es gibt die absolute Armut, bei der einer Person weniger als 1,90 PPP-US-Dollar pro Tag zur Verfügung stehen, zum anderen die relative Armut, bei der ein Einkommen deutlich unter dem mittleren Einkommen eines Landes oder Staates liegt. Wir waren nicht „arm“, damals, wir hatten eine ordentliche Wohnung,  wir hatten genug zu essen, aber ohne zusätzliche Arbeit meiner Mutter wäre vieles nicht aufrecht zu erhalten gewesen. Und die Arbeit meiner Mutter war schlecht bezahlte Heimarbeit.

Wir verfügten über kein Auto, und erst sehr spät wurde ein Viertel-Telephon eingeleitet. Wir gingen oft zu Fuß, sogar weite Strecken, um uns das Geld für den Fahrschein zu sparen (für die Fahrt in die Schule hatte ich eine Schülerkarte, die galt aber nur für die Strecke zur Schule). Man nahm weite Wege in Kauf, um Dinge billiger zu erwerben. Bei uns wurde vieles sehr lange repariert (geflickt , gestopft, repassiert), bevor man sich zu einer Neuanschaffung entschloss. Meine Eltern waren nicht „auf Urlaub“ gefahren, sondern man fuhr zu den Verwandten am Land, wo man in einem kleinen Zimmer wohnte und den Verwandten in der Landwirtschaft half. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Eltern je in ein Restaurant essen gegangen waren.

Mein Schikurs war eine finanzielle Herausforderung und zum Glück gab es das Theater der Jugend, mit billigen Karten für Schüler. Meine Mutter sparte an sich selbst, um mir eine „ordentliche“ Kleidung zu ermöglichen.

Schulbücher bezog ich aus der „Schülerlade“, oder aus dem Antiquariat, bis dann die Gratisschulbücheraktion kam. Lesestoff bezog ich aus einer Leihbücherei und später, als mein Englisch schon besser war aus den Büchereien z.B. des British Council. (Damals begann man erst, Taschenbücher herzustellen).

Ein Kostenfaktor, den eine Eltern in Kauf nahmen, waren die Kosten für meine Klavierlehrerin. Aus jetziger Sicht wäre es klüger gewesen, sie hätten sich das gespart. Sogar ein Klavier hatten sie mir angeschafft – einen Konzertflügel – und ich habe das Klavierspielen gehasst! Ich habe das Üben vermieden, wo ich nur konnte.

Auch eine andere Ausbildung, die mir meine Eltern ermöglichten, habe ich nicht wollen: einen Maschinschreibkurs (in den Ferien!) – Stenographie hatte ich in einem Freifach in der Schule gelernt – in der Handelsschule Weiß (so hieß sie, glaube ich). Meine Eltern meinten, dass das Grundvoraussetzungen für einen späteren Beruf wären. Ich musste es zum Glück nie praktisch einsetzen.

Die Eltern mancher meiner Freundinnen waren damals ziemlich wohlhabend, einige ließen es mich „spüren“, dass meine Eltern nicht so wohlhabend waren, sie protzten, andere im Gegensatz dazu versuchten diskret zu helfen. Und damals waren die Einkommensunterschiede noch nicht so groß, wie sie heute sind.

Und leider schämte ich mich dieser relativen Armut, anstatt stolz gewesen zu sein, auf das Bemühen meiner Eltern mir  eine Ausbildung zu ermöglichen. Und nicht nur die Ausbildung: So ein Schikurs konnte schon eine Herausforderung sein, wenn auch die Ausrüstung damals eine ungleich einfachere als heute war.  

Politische Gleichheit ist eine der Voraussetzungen für Demokratie: Jeder Bürger sollte im Idealfall die gleiche Stimme haben. Ein der Praxis gibt es kaum eine Gleichheit der Stimmen, speziell bei der Frage der gesellschaftlichen Umverteilung bzw. des Wohlfahrtstaates. Die Einstellung von Gruppen mit niedrigerem Einkommen ist in der Regel unterrepräsentiert, während Gruppen mit höherem Einkommen überrepräsentiert sind. Und Armut prägt auch die psychische Gesundheit der Menschen.

Kinder kosten auch heute viel Geld, selbst wenn sie nicht in Privatkindergärten oder -schulen gehen. Ich kenne die Aufwendungen für Schultaschen, diverse Arten von Stiften etc. jetzt schon bei meinen Urenkelinnen. Ich bin meinen Eltern noch heute unendlich dankbar, dass sie mir – unter großen Opfern ihrerseits – eine Ausbildung ermöglicht haben, die mir erlaubt hat, der Armutsfalle zu entgehen.

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