Vielleicht würde man es heute Mobbing nennen. Damals, in der Unterstufe, also irgendwann in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre, naja, da war es halt einfach so.
In meiner Klasse – also innerhalb einer Mädchenschule, gab es so etwas wie eine Clique, die den „Ton angab“. Es gab eine Anführerin, ein sehr selbstbewusstes Mädchen, M., deren Vater in einem Ministerium in sehr gehobener Stellung tätig war, der für die Zuteilung von z.B. Material für Schulen (z.B. auch Heizmaterial) zuständig war. Seine Tochter M. wusste um diese Tatsache sehr gut Bescheid.
Dieses Mädchen M. scharte „Bewunderinnen“ um sich. Die anderen, also die nicht-einflussreichen, bzw. jene, die nicht zu den „Bewunderinnen“ zählten, wurden im Klassenverband von der Clique als „minderwertig“ behandelt. Ich war nicht Mitglied der Clique, obwohl ich in anderen Gruppierungen in der Schule durchaus erfolgreich war.
Ich hatte – ich glaube zu Weihnachten, ein Paar Fäustlinge bekommen. Diese Fäustlinge waren „besonders“, denn sie hatten ein Pelzfutter, waren dennoch nicht sehr schön (weil halt nicht von Profis gemacht). Das Pelzfutter stammte von einem Kaninchen. Dieses Kaninchen hatte ich zu meinem 10. Geburtstag im Jahr 1945 im Frühjahr bekommen. Wir lebten damals weitgehend im Mühlviertel, daher war das Aufstellen eines Stalles und die Futterbeschaffung nicht schwierig. Ich musste halt Klee „besorgen“, aber frisches Gras tat es auch, das ich überall am Wegrand abreißen konnte.
Das Kaninchen wurde den Sommer über durchgefüttert – und im Herbst – geschlachtet und verspeist. Ich konnte nichts davon essen. Ja, und zu dieser Zeit wurde alles verwendet, also wurde auch das Fell des Hasen „aufbereitet“ (ich weiß nicht, wie meine Mutter das Gerben schaffte). Und aus diesem Fell wurden die oben genannten Fäustlinge – außen schwarz, also Stoff, innen Fell verfertigt und zu meinem Weihnachtsgeschenk.
Die Winter waren damals ziemlich kalt und ich war sehr froh über meine Fäustlinge, weil man damit auch Schneeballen machen konnte, ohne dass die Fäustlinge ganz nass wurden. Und natürlich merkte man in der Clique, dass ich auf diese Fäustlinge sehr stolz war.
Somit wurde umgehend zur Tat geschritten, einige Mädchen der Clique wurden einer der Fäustlinge habhaft, und nun schupften sie untereinander diesen Fäustling herum, und ich wollte ihn fangen – was sie zu verhindern wussten. Ich gebe zu, ich war verzweifelt, denn der Verlust oder auch nur Beschädigung dieser Fäustlinge würde auch von meiner Mutter hart bestraft werden. Die Clique amüsierte sich köstlich über meine vergeblichen Versuche, wieder in den Besitz der Fäustlinge zu kommen.
An den Ausgang kann ich mich nicht erinnern. Wahrscheinlich hat das Läuten die Pausenaktivitäten im Freien (unsere Schule bestand damals aus mehreren Gebäuden in einem großen Park, also Pausen dienten auch zum Erreichen der jeweils anderen Gebäude) beendet und wir kehrten alle ins ziemlich kühle Klassenzimmer zurück.
Aber eine andere Clique, spielte in meinem späteren Leben noch einmal eine Rolle: es war die Clique, der damals mein späterer Mann angehörte. Cliquen werden als informelle soziale Gruppen bezeichnet, die sich mehr oder weniger spontan gebildet haben und weniger über formale Strukturen oder festgelegte Ziele verfügen. Die Strukturen können durch Rollenverteilung oder äußere Umstände geprägt sein. In eine informelle Gruppe bzw. Clique kann man nicht einfach eintreten, sondern wird aufgrund bestimmter Merkmale oder aufgrund bereits bestehender Beziehungen zu Mitgliedern der Gruppe aufgenommen. Personen, die keine Mitglieder der informellen Gruppe sind oder sich nicht anpassen, bekommen die Grenzen schnell aufgezeigt.
So ging es mir, denn einige Mitglieder dieser Clique, der mein späterer Mann damals angehörte befand sich als sehr elitär und daher wurde meinem Mann, als wir begannen, einander zu treffen, mitgeteilt, wie er denn mit diesem „Blaustrumpf“, also mir, überhaupt ausgehen könne. Blaustrumpf bezeichnete im 18. und 19. Jahrhundert eine gebildete, intellektuelle Frau, die zugunsten der geistigen Betätigung die vermeintlich typisch weiblichen Eigenschaften vernachlässigte. Die pejorative, spöttische Bedeutung für Frauen, die nach Emanzipation strebten, kam erst im späten 19. Jahrhundert auf. Der Begriff geht auf die britische Blaustrumpfgesellschaft zurück, galt zunächst für beide Geschlechter und hatte keine abwertende Bedeutung.
Gar so falsch lagen sie mit dieser Einschätzung wiederum nicht, aber mein Mann ließ sich dennoch nicht abschrecken, zum Entsetzen der Clique heirateten wir, einige Mitglieder versuchten auch dann noch, mich zu „schneiden“ (= auszugrenzen).
Ich besitze jetzt ein paar kommerziell hergestellte Fellfäustlinge (die ich aber sehr selten trage, einfach weil’s nicht so kalt ist) und einer Clique habe ich mein Leben lang nicht angehört.