Dass Russland den Cyber-Krieg plant ist grundsätzlich nichts Neues. Der Staat führt ja parallel auch einen sehr gekonnten Informationskrieg. Mir scheint, dass der Westen diesbezüglich in Russland, in den von Russland besetzten Gebieten und in mit Russland befreundeten Ländern weniger aktiv ist.
Die „Vulkan Files“ zeigen, wie sich Russlands Geheimdienste und das Militär für den digitalen Krieg wappnen. Die internen Dokumente stammen aus der Moskauer Firma „NTC-Vulkan“. Sie arbeitet als eine Art Technik-Zulieferer für den russischen Staat. „Vulkan“ entwickelt Instrumente für Cyberattacken und Desinformationskampagnen. Diese Firma sieht auf den ersten Blick aus wie ein herkömmliches IT-Unternehmen. Laut ihrer Webseite bietet sie Software an, die Unternehmen gegen Hackerangriffe absichern soll.
Diese Moskauer IT-Firma arbeitet angeblich mit russischen Geheimdiensten zusammen, um weltweite Hackerangriffe durchzuführen, die etwa auch Angriffe auf Einrichtungen der kritischen Infrastruktur ermöglichen sollen. Zu den Zielen des Programms gehört den Unterlagen zufolge, mit spezieller Software Züge entgleisen zu lassen oder Computer eines Flughafens lahmzulegen. Es sei aber nicht ersichtlich, ob das Programm derzeit etwa gegen die Ukraine eingesetzt werde, hieß es.
Angeblich verbergen sich hinter dieser Firma die Geheimdienste FSB und GRU. Inzwischen wurde herausgefunden: Auch der dritte wichtige Geheimdienst, der SWR, arbeitet mit dieser Firma zusammen und es besteht der Eindruck, dass diese Firma eine Art Zulieferer für die Geheimdienste ist, die mit bestimmten Wünschen an externe Firmen, an Dienstleister herantreten und Software für unterschiedlichste Zwecke bestellen. Das kann die Vorbereitung von Hacking-Operationen sein oder der Wunsch nach Überwachungstools. Die Firma „Vulkan“ sitzt offenbar in diesem System aus Geheimdiensten, aus staatlichen Forschungsinstituten und privaten Firmen an einer zentralen Stelle. „Vulkan ist eine Säule des russischen Polizeistaats. Vulkan entwickelt Software, die gegen das eigene Volk und gegen andere Länder eingesetzt werden kann“, sagte ein ehemaliger Vulkan-Mitarbeiter. Die Daten zeigen, dass die Programme beauftragt, getestet und bezahlt worden sind.
Bei dem Daten Leak handelt es sich demnach um Tausende Seiten interner Unterlagen der Moskauer IT-Firma NTC Vulkan: Projektpläne, Softwarebeschreibungen, Anleitungen, interne E-Mails sowie Überweisungsunterlagen der Firma. Die Dokumente zeigen den Berichten zufolge, wie russische Geheimdienste mithilfe privater Firmen weltweite Hacking-Operationen planen und ausführen lassen.
Es wird davon ausgegangen, dass diese Daten authentisch sind: In diesen Dokumenten werden sehr viele Namen erwähnt: Namen von Mitarbeitern des Verteidigungsministeriums, des Generalstabs, von Geheimdiensten. Es sind Namen, die man in anderen Quellen überprüfen kann. Es befinden sich viele E-Mails aus der Firma in diesem Leak. Auch darin stehen Namen, Handynummern, Funktionen – also Job-Beschreibungen, die sich mithilfe anderen Quellen überprüfen lassen.
Staatliche Forschungsinstitute in den Städten Rostow am Don, Kursk und Serpuchow kooperieren mit Vulkan und den Geheimdiensten bei der Entwicklung. Es besteht offenbar ein russlandweites Netzwerk für den Cyberkrieg, das der Kreml seit Jahren ausbaut. „Amesit“ scheint offenbar an der Militärakademie des russischen Generalstabs bereits in Betrieb zu sein. Ob Vulkan-Software auch bei Operationen im Rahmen des Ukraine-Kriegs genutzt wird, ist jedoch nicht bekannt.
Die Dokumente geben einen sehr tiefen Einblick, wie die russische Führung, wie die russischen Geheimdienste, den Krieg ins Internet tragen wollen – und wie sie digitale Tools nutzen wollen, um einerseits Ziele im Ausland anzugreifen, andererseits ihre eigene Bevölkerung systematisch zu überwachen.
Vulkan liefert z.B. Unterlagen, um Ziele zu identifizieren, die man später möglicherweise mit Hacker-Gruppen angreifen kann. Dazu gehört, dass man sich damit befasst, wie man kritische Infrastruktur angreifen kann. Dazu gehört, wie man Propaganda ins Netz bringt.
Und Vulkan ist schon lange aktiv. Google bestätigte, man habe bereits 2012 eine Vulkan-Mailadresse im Zusammenhang mit Schadsoftware der russischen Hackertruppe „Cozy Bear“ identifiziert. Sie wird für zahlreiche Hackerangriffe auf Behörden und Organisationen in Europa und den USA verantwortlich gemacht und wird dem Auslandsgeheimdienst SWR zugerechnet.
Es gab in der Vergangenheit immer wieder Belege, dass russische Geheimdienste nicht davor zurückschrecken, kritische Infrastruktur anzugreifen: zum Beispiel Kraftwerke, zum Beispiel Stromnetze. Und auch das sehen wir in den Dokumenten: Dass sie sich teilweise mit kritischer Infrastruktur befassen und dass es etwa darum geht, wie man Propaganda ins Netz bringt.
Auf Journalisten-Anfragen reagierten weder die Firma Vulkan noch die russischen Behörden. Doch es konnten mehr als 90 ehemalige und aktuelle Mitarbeiter von Vulkan ausfindig machen, mehrere bestätigten Einzelheiten der Recherche.
Die Kriegsführung der Russen in der Ukraine ist hybrid. Es ist durchaus möglich, dass Teile dessen, was wir in den Dokumenten sehen, auch dort zum Einsatz gekommen ist.
Ein weiteres Ziel Russlands: Das Internet in besetzten Gebieten steuern – und zu bestimmen, was Nutzern angezeigt wird und was nicht. Auch dabei soll Vulkan-Technologie helfen, etwa mit der Software „Amesit“. Deren Aufgaben laut der geleakten Dokumente ist:
- Der Zugriff auf unerwünschte Datenkanäle wird blockiert.
- Anfragen von Usern werden auf erwünschte Internetressourcen in vorgesehenen Territorien umgeleitet.
- Ihr Ziel ist die vollständige Kontrolle über die Informationen in dem Gebiet, in das sie einzudringen versuchen. Man geht also in ein Gebiet, übernimmt die Kontrolle über die Kommunikation und nutzt diese Kontrolle dann, um Desinformationen zu verbreiten, soziale Medien zu manipulieren und Informationen zu unterdrücken.
Eine anonyme Quelle hat angeblich den Großteil der Vulkan Files kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine die Daten verschiedenen Medien zur Verfügung gestellt. Die Daten stammen demnach aus den Jahren 2016 bis 2021 und lassen daher nur Analogieschlüsse auf die heutige Situation zu. Als Motiv habe die Quelle Russlands Angriffskrieg und die engen Verbindungen von Vulkan zu Geheimdiensten genannt. Mehrere westliche Nachrichtendienste hätten bestätigt, dass die Dokumente authentisch seien.
Vieles hatte man ja schon ahnen können, jetzt liegen Beweise vor. Jetzt wissen wir, wie es möglich ist, dass in Russland, in den Besetzten Territorien sowie in befreundeten Staaten die Menschen glauben, dass die USA diese Spezialoperation begonnen haben. Leider erreicht diese Propaganda auch „den Westen“, und damit uns, wie wir leider feststellen müssen.