Warum ist ein Kompromiss faul – und nicht fleißig

Ein Kompromiss ist die Lösung eines Konfliktes durch gegenseitige freiwillige Übereinkunft, unter beiderseitigem Verzicht auf Teile der jeweils gestellten Forderungen. Die Verhandlungspartner gehen aufeinander zu. Sie verlassen die eigene Position und bewegen sich auf eine neue gemeinsame Position. Ziel ist ein gemeinsames Ergebnis, auf das sie sich einigen. Der Kompromiss ist eine vernünftige Art, widersprüchliche Interessen auszugleichen. Er lebt von der Achtung der gegnerischen Positionen und gehört zum Wesen der Demokratie. Kompromisse können viele Lebensbereiche der Menschen betreffen.

Der schon bei Cicero belegte Ausdruck compromissum stammt aus der lateinischen Rechtssprache und bedeutete dort, dass die streitenden Parteien „gemeinsam versprechen“ (com-promittunt), sich dem Schiedsspruch eines zuvor als Schiedsrichter angerufenen Dritten zu unterwerfen. Eine Partei, die den Schiedsspruch nachher nicht anerkennt, verliert eine zuvor hinterlegte Pfandsumme Geldes. In der Rechtssprache des Mittelalters wurde eine gütliche Übereinkunft in einem Rechtsstreit als Mutsühne bezeichnet.

Hinter einem Kompromiss steht immer ein Konflikt zwischen verschiedenen Wünschen, Interessen und Bedürfnissen. Meist ergeben sich Konflikte zwischen verschiedenen Menschen. Manchmal aber auch im Inneren eines Menschen („Zwei Seelen in meiner Brust“), oder zwischen Gruppen, Organisationen, Staaten, Kulturen oder Religionen. Oft sind vermeintliche Widersprüche und die daraus erfolgenden Konflikte lediglich eine Folge von Missverständnissen. Und oft steht hinter einem Wunsch oder einem Interesse ein verborgenes und viel wesentlicheres Bedürfnis. Wird ein Missverständnis aufgelöst oder das eigentliche Bedürfnis hinter dem vordergründigen Interesse erfüllt, gibt es auch keinen Konflikt mehr.

Manche Konflikte sind Verteilungskonflikte, beispielsweise Rohstoffe, Unternehmensgewinn, Gehalt, Wohnraum etc. Solche Konflikte werden oft fälschlich als Nullsummenspiel betrachtet: wenn einer der beiden einen Euro mehr bekommt, bekommt der andere automatisch einen Euro weniger. Aber vielleicht ist der eine Euro für den Einen eine ganze Mahlzeit, und für den Anderen nur ein Bruchteil davon. Auch komplexere Zusammenhänge werden oft fälschlich als Nullsummenspiel betrachtet und werden dadurch meist unlösbar. Die meisten Nullsummenspiele lösen sich hingegen auf, wenn sie in größerem Zusammenhang betrachtet werden.

Neben harten Zahlen (beispielsweise Geld, Waren) können auch soziale und politische Faktoren eine Rolle spielen. Zum Beispiel können beim Abschließen eines Kompromisses beide Seiten das Gefühl haben, ihr „Gesicht zu wahren“ – dem Kontrahenten und/oder Dritten gegenüber. Manchmal geht es um die „Ehre“.

Die Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind ein alljährliches Beispiel für einen Kompromiss: Die am Ende vereinbarten Lohnerhöhungen liegen meist zwischen dem was die Beschäftigten anfangs forderten und dem, was die Arbeitgeber anfangs anboten.

In demokratischen Staaten, aber auch in staatlichen Verbänden bzw. im zwischenstaatlichen Bereich, werden häufig Kompromisse zwischen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern geschlossen, wobei es z. B. um das Erreichen beziehungsweise Sicherung erreichter sozialer Standards (etwa des jeweiligen Existenzminimums) oder um unternehmerische Interessen geht (zum Beispiel um Profite, Tarife, Steuern, Zölle und Abgaben). Oder um Umweltmaßnahmen.

Kompromisse können auch bei der Regelung anscheinend strikt gegensätzlicher völkerrechtlicher Positionen geschlossen werden, etwa zwischen zwei Staaten oder innerhalb eines Staates zur Lösung von Konflikten, Kriegen oder Bürgerkriegen, „eingefrorenen“ Auseinandersetzungen usw. Meist geht es um zwei gegensätzliche Prinzipien; ich würde mir sehr wünschen, dass die derzeitigen Kriege durch Verhandlungen und nicht durch Waffen entschieden würden.

Ein „fauler Kompromiss“ ist eine Variante, bei der nur scheinbar ein Kompromiss erzielt wurde – in Wahrheit aber eine Partei den Kürzeren gezogen hat, und dies nicht gemerkt wurde bzw. unter den Tisch gekehrt wird (oder unter Zwang entstand). Oder bei der man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigt hat und dabei beide eher verlieren. Nicht selten werden mangelnde Vorteile oder entsprechende Nachteile erst später ersichtlich und machen dann Nachverhandlungen erforderlich.

Je nach kulturellem oder sprachlichem Hintergrund kann die Bedeutung des Wortes „Kompromiss“ und die Erwartungshaltung dazu verschieden sein. In England, Irland und den Commonwealth-Staaten bedeutet das Wort compromise etwas Gutes: Man betrachtet eine Übereinkunft, einen Kompromiss, als etwas Positives, das beiden Seiten zugutekommt. In den USA dagegen versteht man unter diesem Begriff eine Lösung, bei der beide Seiten verlieren.

Unter manchen Umständen in manchen Gegenden hat man das „Durchschlagen des gordischen Knotens“ einem (faulen) Kompromiss vorgezogen.  Es galt ein vermeintlicher Heroismus der Kompromisslosigkeit, der Härte, der Durchsetzungsmacht. Charakter zeigte sich angeblich in Überzeugungstreue und Prinzipienfestigkeit. Wir, in Österreich – und schon zu Zeiten der Donaumonarchie – huldigen eher dem Grundsatz „Leben und leben lassen!“.

Ja, und in der Vergangenheit wurde der Kompromiss oft als „Packelei“ verschrien. Es wurde (und wird) zuweilen Korruption unterstellt. Derzeit muss ich allerdings einen gewisse „Bockigkeit“ beim Vertreten der eigenen Positionen feststellen, die Kompromisse sehr schwer macht (aber vielleicht – und hoffentlich – ist das zum Teil das der Vorwahlzeit geschuldet). Ich würde mich freuen, wenn zum früheren Klima der Kompromissfreudigkeit zurückkehren könnten und wenn nicht bei Unstimmigkeiten gleich zum „Kadi“ gerannt wird.

Ich meine, dass wir Österreicher noch immer die Fähigkeit haben, als übernationaler ausgleichender vorbildlicher Mittler zwischen Sprachen und angestammten Ethnizitäten zu dienen und das auch untereinander schaffen.

Warum ist ein Kompromiss faul – und nicht fleißig

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