Jetzt hab‘ ich eine, Marke CE FFOP2, also eine Maske. Bekommen habe ich sie in meiner Apotheke, wo man im Freien warten bis einer der beiden darin befindlichen Kunden wieder herauskommt. Ich bin nicht wegen der Maske hingegangen, sondern um etwas zu meiner Dauermedikation zu holen und habe nach der Maske gefragt. EURO 16. kostet sie. Ich habe sie auch gleich aufgesetzt und ausprobiert. Da ich Brillen trage, die man darüber setzen muss, laufen die im Freien die Brillengläser an und man nimmt seine Umgebung nur sehr verschwommen wahr. Außerdem tropft mir bei diesem Wetter die Nase, und diese unter der Maske abzuwischen ist anfänglich eine kleine Herausforderung. Und Telephonieren habe ich auch nicht ordentlich können, da ich ja die Brillen in der Hand getragen habe. Im Hinblick auf die Kosten werde ich diese Maske wiederverwenden – zwischenzeitlich aufhängen – und vorläufig halt nur im Supermarkt tragen. Auf der Straße ist man derzeit noch damit ohnedies nur ein bunter Hund. Aber weder am Kärntnerring, noch am Schubertring, oder am Parkring oder am Stubenring sind so viele Leute unterwegs, dass man ihnen nicht ausweichen könnte, das trifft auch auf die Dominikaner- und Stubenbastei zu.
Aber jetzt zu meinem eigentlichen Thema: Plötzlich rufen Menschen an, mit denen man zuletzt eigentlich nur peripheren, sporadischen Kontakt gehabt hatte. Man plaudert lange miteinander, nicht einmal so sehr über das „Jetzt“, sondern eher über frühere – gemeinsame – Zeiten. Und weil das alles so gemächlich abläuft – meine Freundin heute musste nur schnell in der Küche das Apfelkompott abdrehen, damit es während der Plauderei nicht anbrennt. Ja, es gibt drei Dinge die gewaltig zur Aufheiterung beitragen können: eben jenes Apfelkompott, eine Hühnersuppe und ein Kamillentee bzw. weichselweise heiße Limonade.
Und in diesen Gesprächen lernt man dann viel über das Leben dieser Menschen, interessant für mich ist es, dass man im Wesentlichen über jene Perioden im Leben spricht, in denen es früher – wie jetzt auch – große Herausforderungen gab. Bei meiner Generation ist das die Kriegs- und Nachkriegszeit.
Jene Freundin, mit der ich heute solange geplaudert habe, kenne ich schon „ewig“, d. h. wir sind, so unsere Mütter – im Kinderwagerl im Clam-Gallas-Park nebeneinandergestanden. Wir haben miteinander in den Sandkisten des Votiv-Parks (jetzt Sigmund-Freud-Park) und des Liechtensteinparks gespielt, wir sind miteinander in die Volksschule gegangen. Und später dann haben wir beide das Realgymnasium in der Billrothstraße besucht. Bei dieser meiner Freundin hat das einzige Kindergeburtstagsfest meiner Jugend stattgefunden. M., so der Name meiner Freundin, erinnert sich noch heute an meine Virginier-rauchenden Großvater, und an die Tatsache, dass meine Tante durch einen Splitter einer Bombe, die durchs Kellerfenster fiel, am Arm verletzt wurde.
Und dennoch habe ich heute viel Neues auch zu dieser damaligen Zeit gehört. Ich hatte zu unserer fröhlichen Kindheitszeit z.B. nie davon erfahren, dass sich M. im Luftschutzkeller ihres Hauses während eines Bombenangriffs befand, der aber nicht sehr tief war. Im Nachbarhaus hatte eine Bombe eingeschlagen, und M., sowie alle anderen dort, hatten das Gefühl, dass über ihnen alles zusammengestürzt wäre, und sie verschüttet wären. Ich wusste schon damals, dass M. eine jüdische Mutter (und einen arischen Vater) hatte. Derartige Dinge „wusste“ man damals einfach übereinander. Und diese Situation erschwerte das Leben der Betroffenen erheblich. Z.B. erfuhr ich heute, dass die „Hausgemeinschaft“ in ihrem damaligen Wohnhaus in der Liechtensteinstraße großartig funktioniert hat, im Krieg, mit einer Ausnahme, ein „hoher“ SS-Mann. Dieser drohte bei Kriegende vor seiner Flucht, die Mutter meiner Freundin zu erschießen. Das erfuhr diese von der getreuen Hausmeisterin, worauf sich M. mit ihrer Mutter zu Verwandten nach Pötzleinsdorf begab. Dort aber machte sich ein Naziverfolger ans Werk und suchte eine Frau mit dem Nachnamen meiner Freundin M. Er erschoss diese Dame, es war pures Glück gewesen, dass er nicht die Mutter von M. erwischt hatte. Alles das wusste ich damals natürlich nicht.
Auch nicht, wie M. und ihre Mutter (der Vater war im Kreig gefallen) in der Nachkriegszeit zu einer Aufbesserung ihrer Rationen gekommen sind, nicht nur tauschten sie Kleinmöbelstücke mithilfe einer Nachbarin für Lebensmittel ein (konkret: Schmalz), sondern es gab auch Verwandte in England, die nach und nach Lebensmittelpakete sendeten. In einem ungeheizten Zimmer wurde das gestapelt.
Andererseits kannte ich damals schon die Liebe zur Oper meiner Freundin. Ich dachte, dass sie (wie ich in höchst seltenen Fällen) auf Stehplatz war. Heute habe ich erfahren, dass es einen Onkel gab, der ihr Karten für wunderschöne Plätze in der Oper (damals im Theater an der Wien bzw. in den Redouten Sälen) vermittelt hatte. Ihre Liebe zu Opern hat dann ihr ganzes Leben verschönt.
Ich finde es wunderbar, jetzt mit alten Freunden über frühere, auch schwere Zeiten zu plaudern.
Ich glaube, dass wir Oldies unsere jetzige Kraft auch aus dem Erinnern ziehen, schon viel Schweres erlebt und auch überlebt zu haben.