Zum Jahr 1968
Diese Zeit wird von vielen Heutigen als düstere, graue Zeit erachtet, in der nicht viel Interessantes passiert ist.
Das stimmt nicht.
Das Jahr 1968 ist in vielen Ländern der Höhepunkt der linksgerichteten Studenten- und Bürgerrechtsbewegungen der 1960er-Jahre, die daher auch als 68er-Bewegung bezeichnet werden. In den USA sind das die Proteste gegen den Vietnamkrieg und die schwarze Bürgerrechtsbewegung, deren Anführer Martin Luther King im April des Jahres ermordet wird, in Frankreich die Mai-Unruhen, in der Bundesrepublik die Studentenbewegung, die Proteste gegen die Notstandsverfassung, und die Außerparlamentarische Opposition, in der ČSSR der Prager Frühling, in Polen die März-Unruhen, die Studentenproteste in Mexiko und in Japan die Proteste von Zengakuren (Alljapanischer Allgemeiner Verband der studentischen Selbstverwaltungen, linksradikal).
Auch in Österreich gab es 1968 Studentenproteste. Auch hier ging es den Studierenden darum, dass sie die Unis als „verstaubt“ erlebten und dass sie stärker mitbestimmen wollten. Die Uni-Hörsäle wurden von den Studierenden im Mai ´68 besetzt, und sie hielten dort Diskussionsveranstaltungen ab. Aber nicht nur die Situation an den Universitäten wurde kritisiert, die österreichische Jugend wünschte sich auch Veränderungen in der Politik und Gesellschaft, welche sie als konservativ und „rückschrittlich“ empfand. 1968 protestierten Studierende in Österreich aus Solidarität mit Rudi Dutschke, nachdem dieser angeschossen worden war. Dutschke war einer der bekanntesten Wort-Führer bei der Studentinnen Bewegung in Westdeutschland. Auch in Österreich kam es bei den Protesten zu Konflikten mit der Polizei. Im Vergleich (z.B. mit Frankreich) liefen die Studentenproteste in Österreich aber eher ruhig ab.
Im Juni 1968 fand in einem Hörsaal der Universität Wien ein sogenanntes Happening unter dem Titel „Kunst und Revolution“ statt. Es sorgte für viel Aufsehen und Empörung, da die beteiligten KünstlerInnen versuchten, zu schockieren, indem sie möglichst viele Tabus brachen, z.B. Nacktheit, Exkremente und Selbstverstümmelung. Dabei sangen sie die österreichische Bundeshymne und benutzten die österreichische Nationalflagge. Die Veranstaltung wurde von einigen Medien als „Uni-Ferkelei“ bezeichnet und hatte ein gerichtliches Nachspiel.
Berühmt-berüchtigt wurde auch die Aktion der Künstlerin VALIE EXPORT, das Tapp- und Tastkino. Mit dieser Straßenaktion trat sie auf öffentlichen Plätzen auf, erstmalig in München. VALIE EXPORT trug dabei über ihren nackten Brüsten einen Kasten mit zwei Öffnungen. Ihr Partner begleitete sie und lud die PassantInnen zum „Besuch“ dieses „Tapp- und Tastkinos“ ein: Die „BesucherInnen“ durften einige Sekunden lang durch die Öffnungen im Kasten die nackten Brüste der Künstlerin berühren. VALIE EXPORT bezeichnete die Aktion selbst als feministische Aktion.
Erschüttert hat uns 1968 besonders der später so genannte Prager Frühling, der damals vom österreichischen Rundfunk fast „live“ übertragen wurde.
In Österreich gab es Proteste gegen die ORF-Berichterstattung. Der erst seit 1967 rechtlich unabhängige ORF war seit dem Beginn der Operationen bestens informiert und konnte diese Meldungen auch an andere westliche Medien weitergeben. Darüber beschwerte sich der sowjetische Botschafter und es kam zu Konfrontationen zwischen der Bundesregierung und dem ORF, denen sich auch Bruno Kreisky anschloss, da der ORF unter der Leitung von Gerd Bacher, auch seiner Ansicht nach neutralitätswidrig berichtete. Dennoch gelang es dem österreichischen Rundfunk als Informationsdrehscheibe für die ganze Welt zu fungieren und laufend aktuelle Nachrichten anzubieten.
Der Prager Frühling ist die Bezeichnung für das Streben der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei (KSČ) unter Alexander Dubcek im Frühjahr 1968, ein Liberalisierungs- und Demokratisierungsprogramm durchzusetzen, sowie vor allem die Beeinflussung und Verstärkung dieser Reformbemühungen durch eine sich rasch entwickelnde kritische Öffentlichkeit. Mit dem Begriff „Prager Frühling“ verbinden sich zwei gegensätzliche Vorgänge: einerseits der Versuch, einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zu schaffen, andererseits aber auch die gewaltsame Niederschlagung dieses Versuchs durch am 21. August 1968 einmarschierende Truppen des Warschauer Paktes. Auch das österreichische Bundesheer war damals im „Alarmzustand“. Die Bezeichnung „Prager Frühling“ stammt von westlichen Medien und ist eine Fortführung des Begriffs Tauwetter-Periode, der wiederum auf den Titel des Romans Tauwetter von Ilja Ehrenburg zurückgeht.
Viele tschechische Flüchtlinge sind (temporär) nach Österreich gekommen, stolz trugen sie Abzeichen mit der tschechischen Fahne, aus Solidarität mit ihnen, haben das dann auch viele Wiener gemacht (ich kann das bestätigen, denn ich habe auch damals in Wien gelebt).
Eine besondere Rolle für ausreisewillige Tschechoslowaken spielte der damalige österreichische Botschafter in Prag und spätere Bundespräsident Rudolf Kirchschläger, der entgegen den Weisungen des Außenministers Kurt Waldheim die österreichische Botschaft für Fluchtwillige offenhielt und Visa für Österreich ausstellte. Damit verhalf Kirchschläger zahlreichen Personen zur Flucht. In der Folge kamen rund 210.000 Flüchtlinge nach Österreich, von denen aber nur etwa 12.000 auch um Asyl ansuchten und in Österreich blieben.