Identitären-Chef Edwin Hintsteiner hat laut Pensionistenverband-Generalsekretär Andreas Wohlmuth am Internationalen Holocaust-Gedenktag in Richtung der demonstrierenden „Omas gegen rechts“ auf Twitter den Satz „Wenn man länger lebt, als man nützlich ist und dabei vor lauter Feminismus das Stricken verlernt hat“ gepostet.
Ich bin auch „Oma“, ja sogar Uroma, ich demonstriere zwar nicht, aber meine Meinung äußere ich recht ungeniert, hier auf diesem Blog aber auch sonst, wo ich Gelegenheit dazu habe. Bin ich noch nützlich? Was heißt eigentlich „nützlich“ zu sein? Nützlich für wen? Erbringe ich noch eine Leistung?
Unter Arbeitsleistung versteht man in der Wirtschaft das durch Arbeitspersonen innerhalb der Arbeitszeit erbrachte Arbeitsvolumen als Arbeitsergebnis mit einer bestimmten Arbeitsqualität. Die menschliche Arbeitsleistung ist ein entscheidendes Kriterium beim Produktionsfaktor Arbeit. Die Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung ist das vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer gezahlte Arbeitsentgelt, das gleichzeitig den Preis für den Produktionsfaktor Arbeit darstellt.
Ganz so qualifiziere ich daher nicht, denn für das Schreiben des täglichen Blogs bekomme ich kein Arbeitsentgelt. Allerdings ist eine gewisse Arbeitsleistung dafür erforderlich. Ob die Arbeitsqualität stimmt, das müssen meine Leser entscheiden.
Erbringe ich eine gesellschaftliche Leistung? Diese ist eine Handlung eines Individuums, durch die Aufgaben oder Tätigkeiten in einem für die Gesellschaft befriedigenden Maß erfüllt werden.
Irgendwie passen alle diese Definitionen nicht auf mein Leben – ich versuche es anders: bin ich vom Leistungsdenken geprägt? Leistungsdenken ist eine innere Einstellung, die von Leistung geprägt ist. Leistungsdenken soll heißen, dass man immer überlegt, ob man genügend getan hat, wieviel man noch tun kann, ob man besser als andere ist, ob man ausreichend gut ist. Leistungsdenken ist ein besonderes Charakteristikum der modernen westlichen Gesellschaft. Vermutlich kam das Leistungsdenken in seiner modernen Form erstmals durch das Calvinistische Denken / Erfolgsdenken auf, wo angenommen wurde, dass derjenige in den Himmel kommen wird, der in diesem Leben erfolgreich sein wird.
Im Zuge der Aufklärung gab es einen zweiten Schub des Leistungsdenkens. Die bürgerlichen Gesellschaftsschichten wollten auch nach oben streben, sie wollten dem Adel die Vorrechte streitig machen und zeigten, dass sie Kraft ihrer Leistung es wert sind, auch mehr Verantwortung und mehr Ansehen zu bekommen. So entstand das bürgerliche Leistungsdenken, wo es darum ging, mit eigenen Fähigkeiten und mit eigener Anstrengung nach oben zu kommen. Dieses Leistungsdenken haben große Teile der Bevölkerung internalisiert. Soweit, dass man immer überlegt: Bin ich ausreichend gut? Mach ich ausreichend viel?
Leistungsdenken hatte seine Vorteile. Durch ein starkes Leistungsdenken wurde die Wirtschaft letztlich von großem Wachstum geprägt. Seit dem 17. Jahrhundert wurden viele Erfindungen gemacht, es hat sich ein Schulsystem etabliert, Menschen lernten lesen und schreiben. Es gibt Internet, Internetvideo u.v.m. Das Leistungsdenken hat den Menschen aber auch belastet. Menschen können heute kaum noch entspannen. Sie überlegen immer, ob die Leistungen ausreichend anerkannt werden. Haben sich Menschen früher besonders über ihre gesellschaftliche Schicht und ihren angeborenen Status definiert, so definieren sich Menschen heute darüber, was sie geleistet haben. Und so haben die Menschen die Aufgabe, immer wieder etwas von neuen zu leisten. Auch das hilft mir nicht viel weiter!
Vielleicht sollte ich es anders angehen. Ich schreibe ja nicht „nur“ den Blog. Ich führe einen Haushalt (allerdings unterstützt) und ich kümmere mich um eine behinderte Person, meinen Mann (auch unterstützt). Das ist doch eigentlich selbstverständlich, wir sind immerhin seit 1959 verheiratet. Aber bin ich daher aufgrund dessen noch nützlich? Jedenfalls lässt sich diese Art von Nutzen nicht in Zahlen ausdrücken.
Ist dieser Nutzen nun ein
- Utilitaristischer oder funktionaler Nutzen ist ein problemlösender Nutzen in der klassischen ökonomischen Theorie, wobei der Wert eines Produktes durch seinen utilitaristischen Wert bestimmt wird. Der ökonomische Nutzen ergibt sich aus dem Preis-Leistungs-Verhältnis.
- Hedonistisch-sinnlicher Nutzen: er beschreibt das Potenzial eines Produktes, den Konsumenten bei seiner Verwendung Freude, Vergnügen und Spaß erleben zu lassen. Er fokussiert sich auf individuelle, persönlichkeitsbezogene und damit emotionale Prozesse eines Käufers.
- Symbolischer Nutzen (Geltungsnutzen): Produkte können auch als Mittel zum Ausdruck oder zur Verstärkung der eigenen Identität verwendet werden (Statussymbol). Das Produkt vermittelt für den Käufer Prestige, Identifikation, Gruppenzugehörigkeit, Selbstverwirklichung und Erlebniswert?
Jedenfalls ist trotz allen Gewinnstrebens unsere Gesellschaft noch soweit solidarisch, dass nach erbrachter beruflicher Arbeitsleistung diesem Menschen eine Pension gezahlt wird, die sein/ihr Auskommen sichern soll. Also sind wir eigentlich noch nicht bei der Frage angekommen, ob man im Alter noch nützlich ist. Dennoch erbringen viele Menschen gerade in dieser Lebensphase viele Leistungen – unentgeltlich, sei es in der Familie oder auch im gesellschaftlichen Umfeld. Wie ginge es all den NGOs, wenn nicht die vielen Freiwilligen zur Verfügung stünden. Wie ginge es unseren Enkelkindern, wenn nicht die Omas einspringen, wenn beide Eltern berufstätig sind.
Also nach all den Überlegungen glaube ich nicht, auch wenn ich schon lange lebe, dass ich bereits unnütz bin. Und selbst wenn ich’s wäre, würde ich noch gerne weiterleben!