In Washington und Brüssel möchte man gerne eingefrorenes russisches Staatsvermögen für den Wiederaufbau der Ukraine heranziehen.
Selenskyj meint, nicht die Steuerzahler sollten für den Wiederaufbau der Ukraine aufkommen, sondern der Angreifer Russland selbst. 300 Mrd. Dollar sollten direkt für den Wiederaufbau der Zerstörungen durch russische Raketen herangezogen werden.
Seit dem Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands wurde dank westlicher Sanktionen russisches Vermögen in beträchtlichem Umfang eingefroren. Überlegungen, sie ganz oder zu Teilen zu konfiszieren – die russischen Besitzer also zu enteignen – sind umstritten: Am weitesten gehen Vorbereitungen in den USA, die mit Großbritannien und Kanada die diesbezügliche Führung übernommen haben. Dieses Geld liegt auf Auslandskonten von Russlands Zentralbank und wurde durch die Sanktionen eingefroren.
Der Löwenanteil von etwa 191 Mrd. Dollar auf russischen Konten in Europa liegt in der Obhut der belgischen Treuhandstelle Euroclear, weitere rund 20 Mrd. Dollar werden in Japan vermutet, 5 Mrd. Dollar in den USA. Die Länder veröffentlichen keine transparenten Daten. Beschlagnahmte Reichtümer russischer Oligarchen wie Yachten werden in der Diskussion bislang nicht genannt. Zu in Deutschland eingefrorenen Vermögenswerten gibt es nur Schätzungen. Die Informationshoheit obliegt den Ländern. Es geht z.B. um 720 Mio. Euro einzuziehen, die von einer Tochterfirma der Moskauer Börse von der Großbank JP Morgan in eine andere Bank verschoben werden sollten.
Die USA haben per G7-Arbeitsgruppen klären zu lassen, um welche Vermögenswerte es sich genau handelt – Gold, Fremdwährungen oder Wertpapiere. Auch die Standorte der Vermögen sollen noch einmal unter die Lupe genommen werden.
Befürworter einer umfassenden Enteignung berufen sich auf die moralische Pflicht, den russischen Aggressor für den Schaden in dem jetzt mehr als zweijährigen Krieg zur Rechenschaft zu ziehen. „Es ist nur gerecht, moralisch richtig und machbar, die Zentralbankvermögen an die Ukraine zu übertragen – zur Stärkung der Selbstverteidigung, dem Wiederaufbau und dem Schadensersatz für Opfer“, schrieb die Kiewer Aktivistin Olena Halushka, Mitbegründerin der Nichtregierungsorganisation International Center for Ukrainian Victory.
Konfiszierte Mittel könnten aber von westlichen Staaten auch für Rüstungshilfe verwendet werden. Natürlich gäbe es rechtliche und wirtschaftlich Hürden, aber mit wirklichem politischem Willen seien diese überwindbar.
Zwar hatte von der Leyen für Europa selbst vergangenen Sommer eine Lanze dafür gebrochen, von den eingefrorenen Vermögenswerten in irgendeiner Art zugunsten der Ukraine zu profitieren. Doch spricht die EU hier nicht mit einer Stimme. Belgien sowie auch andere Mitgliedstaaten befürchten Nachteile.
Kleinster gemeinsamer Nenner scheint derzeit, auf Zinsgewinne der Finanzinstitute, die russische Milliarden verwahren, eine Art Übergewinnsteuer zu kassieren – und diese dann zu konfiszieren. Dafür müssten separate Konten für alle Anlage- und Zinsgewinne eingerichtet werden. Auch gegen diese Idee gibt es auch seitens Belgiens große Zurückhaltung – sowie wohl auch in Deutschland und Frankreich.
Ein Zugriff auf Zinserlöse hätte den rechtlichen Vorteil, dass russisches Eigentum an sich unberührt bleibt. Dennoch hat die Europäische Zentralbank (EZB) offenbar davor gewarnt, dass selbst dies sich destabilisierend auf das Finanzsystem auswirken könnte. Internationale Anleger könnten sich aus Europa zurückziehen, wenn die EU auf Gewinne von Verwahrern zugreife. Die Vermögen selbst anzurühren, wäre noch riskanter. Euroclear hat von Januar bis September 2023 Sondererträge von 3 Mrd. Euro ausgewiesen und zahlt darauf rund 800 Mio. Steuern an die belgische Regierung.
Die Finanzmärkt stehen der Idee, Profite der „Frozen assets“ abzuschöpfen, eher „gemischt“ – also uneins, gegenüber. Bedenken richteten sich auf den Trend, Zentralbanken und Währungen sozusagen als Waffen einzusetzen – wie dies mit dem Verhängen der Sanktionen gegen Russland schon der Fall gewesen sei.
Westliche Verbündete der Ukraine vertreten in jedem Fall die Position, dass Russland für die Kriegsschäden geradestehen muss – eines Tages. Eine Schätzung der Weltbank kommt auf die gigantische Summe von bislang mindestens 400 Mrd. Dollar. In der jüngsten Erklärung sagten die G7-Nationen der Ukraine im Dezember ihren Beistand zu, russische Wiedergutmachung zu erlangen, dabei müssten jedoch die eigenen Justizsysteme und das Völkerrecht respektiert werden.
Eine Beschlagnahmung von eingefrorenem Geld eines anderen Staates wäre demnach ein Novum, das völkerrechtlich nicht gedeckt ist – und damit ein Verstoß. Daher liegen die Mittel bei so genannten Zentralverwahrern – neben Euroclear auch Clearstream in Luxemburg. Bedenkenträger wollen vermeiden, einen völkerrechtlichen Präzedenzfall zu schaffen. Das Prinzip der Staatenimmunität besagt, Staaten dürfen nicht einfach über das Vermögen anderer souveräner Staaten verfügen.
Des Diebstahls hat Russlands Staatspräsident Wladimir Putin den Westen schon bezichtigt, als Zentralbankkonten in einer ersten Sanktionswelle gegen Moskau eingefroren wurden. Und mit den Enteignungen würde der Westen gegen eigene Prinzipien der freien Marktwirtschaft verstoßen – und seine Glaubwürdigkeit auf den Finanzmärkten untergraben.
Sollte es aber dennoch zu Konfiszierungen kommen, würde Russland diese sofort gerichtlich anfechten – und im Gegenzug auch selbst Vermögen ausländischer Investoren und Anleger beschlagnahmen.
Wie man es auch dreht und wendet: ohne üble Konsequenzen bliebe auch eine Beschlagnahmung und Nutzung für den Wiederaufbau der Ukraine nicht.