Jetzt muss ich wohl schleunigst lernen, umzudenken. Zulange habe ich in meinem Eurozentrismus verharrt. Aber dieses Umdenken fällt mir schwer, sehr schwer sogar.
Ich habe mir bisher nicht besonders viel dabei gedacht, wenn ich einen Taxifahrer gefragt habe, woher er kommt, wenn er mit starkem Akzent gesprochen hat, ja auch, wenn er eine andere Hautfarbe gehabt hat, oder überhaupt fremdländisch ausgesehen hat. Es hat mich immer interessiert, wer da in Wien da taxifährt, die angeblich schwere Taxler-Prüfung besteht und dann letztlich überall hinfindet. Ich habe Interessantes erfahren, und wenn der Taxler nichts dazu sagen wollte, war es mir auch recht. Aber ich hatte nie das Gefühl dabei, jemand zu beleidigen oder zu kränken. Ich bin einfach neugierig, ich habe auch Muslimas gefragt, warum sie bei uns ein Kopftuch tragen. Aber diese Fragen soll ich jetzt nicht mehr stellen!
Da ist auch das Blackfacing. Ich habe mir nie etwas dabei gedacht, dass man sich für bestimmte Rollen das Gesicht schwarz färbt, um einmal als einer der drei Heiligen Könige mit dabei zu sein, oder als Othello im Burgtheater (Gert Voss war einfach großartig in dieser Rolle, ich habe noch Ewald Balser ebenfalls als Othello gesehen) aufzutreten.
Ich kann einfach nicht umhin, sofort einmal grantig zu werden, wenn von einzelnen erklärt wird, dass Übersetzungen von afroamerikanischer Poesie nur durch Afroamerikaner erfolgen sollte. Zuerst habe ich geglaubt, mich verhört zu haben. Wie soll den das gehen. Wie viele „Afro-Europäer“ haben wir denn hier in Europa, die sich mit Übersetzungen poetischer Literatur beschäftigen. Ist das nicht „umgekehrter“ Rassismus? Ich lese, das nennt man jetzt Identitätspolitik. Der konkrete Anlassfall ist das Gedicht „The Hill we climb“, das von Amanda Gorman bei der Inauguration von Joe Biden vorgetragen worden war. Jetzt ist darüber schon ein Büchlein erschienen – ich gebe zu, ich habe keine Lust, es mir zu kaufen.
Haben Sie gestern vielleicht von der heurigen Ausstellung auf der Schallaburg gehört? Da wurde angekündigt, dass man die Reisen der großen Forscher darstellt und versucht, die Auswirkungen dieser Reisen durch die an diesen Orten befindlichen Betroffenen zu ergründen. Das stell‘ ich mir nicht ganz einfach vor, denn diejenigen, die damals gelebt haben (und eventuell an den eingeschleppten Seuchen gestorben sind) leben ja nicht mehr – also muss man mit ihren eventuellen Nachfahren reden. Und die finden ganz andere Lebensbedingungen vor, haben eine wahrscheinlich ganz andere Einstellung Weißen gegenüber, als es die damals Lebenden hatten. Jedenfalls bin ich auf diese Ausstellung sehr neugierig, die sich wohl gegen Kolonialismus und Sklaverei richten wird. Sicher werde ich bald die Schallaburg aufsuchen.
Natürlich bin ich gegen Rassismus, Antisemitismus, Kolonialismus, Islamophobie etc., natürlich unterstütze ich die Ideen von „Black Lives Matter“, wobei ich glaube, dass das Leben der Afroamerikaner durch die Sklaverei dort anders geprägt ist, als das der zahlenmäßig wenigen „Schwarzen“ hier in Europa.
Aber wieso soll plötzlich die Hautfarbe entscheiden, wer qualifiziert ist, ein Gedicht zu übersetzen, eine Rolle darzustellen etc. Wie heißt es doch gleich in der Charta der Menschenrechte: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen. Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand. Das gilt doch auch für „Weiße“.
Ja, zugegeben, es waren Weiße, Spanier, Portugiesen, Engländer, Franzosen, Belgier etc. die ausgebeutet haben – in Afrika und in Südamerika. Österreicher waren da weniger dabei, Habsburger allerdings schon. Ja, zugegeben, es waren Weiße, die in Afrika Sklaven eingefangen haben und sie unter menschenunwürdigen Bedingungen nach Westindien, in die Südstaaten gebracht haben. Auch die Araber – das Osmanische Reich – profitierte stark vom Sklavenhandel. Auch wir Österreicher haben unseren Mohren Angelo Soliman, besonders nach seinem Tod, nicht sehr freundlich behandelt, zu Lebzeiten war es nicht so schlimm: er war ein afroösterreichischer Sklave, Kammerdiener, Prinzenerzieher von Erbprinz Alois I. von Liechtenstein und Freimaurer. Er erlangte im Wien des 18. Jahrhunderts zu Lebzeiten Berühmtheit. Mit seinem Tod durch Schlaganfall am 21. November 1796 wurde Angelo Soliman auf das „Kuriose“ seines Äußeren, die schwarze Haut, reduziert: Sein Körper wurde beschlagnahmt, ein Gipsabdruck seines Kopfes abgenommen (erst 1996 wurde dieser im Rollettmuseum Baden wieder aufgefunden) und die Eingeweide bestattet; Solimans Haut aber wurde – vermutlich gegen seinen Willen und vor allem gegen mehrmaligen, scharfen Protest seiner Tochter Josephine – ausgestopft und im Kaiserlichen Naturalienkabinett als halbnackter Wilder mit Federn und Muschelkette zur Schau gestellt. 1806 aus der Schausammlung entfernt, verbrannte das Präparat letztlich im Verlauf der Niederschlagung der Revolution 1848.
Wir alle haben Probleme mit unserer Geschichte. Manche mehr, andere weniger. Aber wir bleiben lernfähig.