Der Kurschatten

Wahrscheinlich, weil ich meine Tochter während ihrer Kur besucht habe und sie mit der Frage nach einem Kurschatten arg in Verlegenheit gebracht hatte (meine Enkelkinder kannten den Begriff gar nicht und fanden das Ganze „irrsinnig lustig“), ist mir das alles wieder eingefallen. Aber Kurschatten bei einer von der Krankenkasse verordneten Kur – das passt für mich eher nicht zusammen – oder doch?

„Kurschatten: umgangssprachlich Bez. für eine Person in einer zeitlich u. räumlich auf den Kuraufenthalt beschränkten Partnerschaft; als natürliches Mittel zur Förderung des Kurerfolges schulmedizinisch anerkannt, infolge der besonderen alternativmedizinischen Eigenheit jedoch ethischen u. familienpolitischen Bedenken ausgesetzt; wohl deswegen nicht regelmäßig Teil des Kurplans. Gelegentliche Initiativen, dies zu ändern (…), scheiterten schon in den Ansätzen am Widerstand der Krankenkassenträger u. Kirchen (…)“ zu lesen als Scherzbeitrag im Pschyrembel Naturheilkunde und alternative Heilverfahren, S. 206, 3. Auflage, Berlin 2006

Wikipedia meint zum Kurschatten: eine Person, zu der während einer Kur ein enger Kontakt – meist von einem anderen Kurgast – aufgebaut wird. Er impliziert Erotik, die entstehende Beziehung kann aber auch platonisch bleiben. Man sitzt beim Essen am selben Tisch, unternimmt gemeinsame Tagesaktivitäten, verabredet sich und geht am Abend möglicherweise zum Tanzen. Normalerweise hält ein solches Verhältnis nur für die Länge des Kuraufenthaltes oder höchstens ein paar Wochen oder Monate darüber hinaus. In manchen Fällen entwickeln sich daraus aber auch langfristige Freundschaften, Beziehungen oder Ehen. Der Kurschatten hat Einsamen den Aufenthalt versüßt, er ist Grund für Witze, er hat Ehen gestiftet, aber auch zerstört.

Wichtig ist dabei die Konstellation eines Kuraufenthaltes: die Entfernung von zu Hause, von Familie und Beruf, die andere Umgebung, die vorübergehende Loslösung von möglichen privaten und beruflichen Belastungen, der erleichterte Kontakt zu anderen Menschen mit zum Teil ähnlichen Problemen, die Möglichkeit, sich auszusprechen, einen neuen Abschnitt zu beginnen und vieles mehr.

Ich habe so eine äußerst romantische Vorstellung von Kurschatten: sie stammt aus dem zwanzigsten, eher noch dem späten 19. Jahrhundert, als elegante Damen in langen, engen Kleidern, breiten Hüten oder Sonnenschirmchen in Karlsbad spazierten, heilendes Wasser schlürften und von Kurschatten begleitet wurden. Karlsbad, Karlovy Vary, ist ein Kurort im Westen Tschechiens. Die Stadt liegt an der Mündung der Teplá (Tepl) in die Eger (Ohře). Karlsbad gehört zu den berühmtesten und traditionsreichsten Kurorten der Welt.

In der Stadt bestehen gut erhaltene historische Kureinrichtungen, darunter die Weißen Kolonnaden, die Marktkolonnade (1883, Fellner & Helmer), die Mühlbrunnkolonnade (1871–1881, Josef Zítek), die Parkkolonnade (Gartenkolonnade), die Sprudelkolonnade (1969–1975, Prof. Votruba) und die Schlosskolonnade (1911–1913, Friedrich Ohmann). In allen genannten Kolonnaden sind Heilbrunnen (pramen) untergebracht, deren Temperatur teilweise über 60° Celsius liegt.

Gerade unter diesen Kolonaden spazierten diese eleganten Damen und Herren und betrieben edle Konversation. „Sie“ hatte ein wenig Heimweh, ihre fehlte ihre Familie, aber ein wenig Abenteuerlust brachte dieses Alleinsein schon. „Er“ hingegen war auf Eroberung aus und versuchte alleinstehende Damen für diesen Kuraufenthalt zu erobern. Er lud sie vielleicht auf ein Gläschen Karlsbader Becherbitter (Kräuterlikör – ich finde ihn eher grauslich) ein, den sie langsam nippend trank.

Karlsbad besitzt zwölf Quellen. Die bekannteste und stärkste befindet sich in den Weißen Kolonnaden und wird Sprudel (Vřídlo) genannt. Sie ist 72 °C heiß, schießt bis 14 Meter in die Höhe und hat eine Schüttung von 2000 Litern pro Minute. Insgesamt sind im zentralen Kurortgebiet 89 Austritte von mineralisierten Thermalwässern dokumentiert. Es handelt sich um hypotonisches, stark mineralisiertes Mineralwasser des Typs Na-HCO3SO4Cl (alkalisch, glaubersalzhaltig). Die Anwendungen der Karlsbader Heilquellen sind vielfältig: Störungen des Verdauungssystems, Stoffwechselstörungen, Diabetes mellitus, Gicht, Übergewicht, Parodontose, Erkrankungen des Bewegungsapparates, Leber-, Gallen-, Gallengang- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen sowie onkologische Leiden. Die abführende Wirkung des Heilwassers ist auf das Glaubersalz zurückzuführen. Diese Wirkung auf den menschlichen Organismus ist erwünscht, daher sollten empfindliche Personen wie Kinder und schwangere Frauen das Heilwasser nur eingeschränkt trinken.

Das Thema Kurschatten hat auch Eingang in die Literatur gefunden, zum Beispiel in Thomas Manns Tristan, Felix Krull und Zauberberg.

Es gibt auch vier Filme die sich dieses Themas annahmen:

  • Bella Block: Kurschatten, 14. Folge der Filmreihe von Bella Block
  • Der Staatsanwalt hat das Wort: Der Kurschatten, 56. Folge der Filmreihe Der Staatsanwalt hat das Wort
  • Polizeiruf 110: Kurschatten, 231. Folge der Filmreihe Polizeiruf 110
  • Der Kurschatten (1984), Sowjetischer Spielfilm von 1984

Ekkehard Walter dichtet:

Eine Kur dient der Erholung meist,

doch manche übertreiben’s dreist

und lachen sich im Übermut sodann

auch noch einen Kurschatten an.

 

Ich selbst war nie allein auf Kur (immer nur zusammen mit meinem Mann) da gab’s natürlich keinen Kurschatten. Vielleicht ist das der Grund, weil ich das ganze so romantisch finde!

 

 

 

Der Kurschatten

4 Gedanken zu “Der Kurschatten

  1. Mir fallen zum Kurschatten folgende Dinge ein: Galanterie, Ritterlichkeit, Schwärmerei, sogar die Minne kommt mir in den Sinn, Unverbindlichkeit (irgendwie). Hach ja, romantisch scheint mir so ein Kurschatten schon (gewesen) zu sein.

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