Tand, Tand, ist das Gebilde aus Menschenhand

Dieses oft verwendete Zitat aus Theodor Fontanes Ballade „die Brück‘ am Tay“ ist mir eingefallen, als ich das Zusammenbrechen der Brücke bei Baltimore gesehen habe.

Dabei geht es um den Einsturz der Firth-of-Tay-Brücke, die zwischen 1871 und 1878 unter enormem Aufwand in Schottland erbaut wurde und bereits eineinhalb Jahre nach ihrer Eröffnung am 28. Dezember 1879, im Sturm zusammenbrach. Dabei wurden in einem Eisenbahnzug 75 Menschen in den Tod gerissen. Fontane, der Schottland bereist hatte, umrahmt die Darstellung des Unglücks mit dem Motiv der Hexen aus Shakespeares Macbeth und macht seine Ballade so zu einer Mahnung vor technikgläubiger Hybris. Drei Hexen verabreden sich, um die Brücke mit dem darüberfahrenden Zug einstürzen zu lassen. Das eigentliche Unglück wird aus der Perspektive der „Brücknersleute“ und ihres auf dem Zug fahrenden Sohnes Johnie geschildert. Die Hexen verabreden das nächste Treffen und sind mit ihrem Vernichtungswerk zufrieden. Die Hexen, von Shakespeares Macbeth als Gebieterinnen über zivilisationszerstörende Elementarkräfte beschrieben, sollen als personifizierte Naturgewalten verstanden werden, die ein weiteres Mal des Menschen Werk zunichtemachen werden.

Nun in Baltimore waren sicher keine Hexen am Werk. Wie wir alle (im Fernsehen) gesehen haben, hat ein Containerschiff in Baltimore im US-Bundesstaat Maryland eine Autobahnbrücke gerammt und über mehr als 2,5 Kilometer weitgehend zum Einsturz gebracht.

Baltimore (USA) ist die größte Stadt im US-Bundesstaat Maryland und als independent city (kreisfreie Stadt) seit 1851 nicht mehr Teil des benachbarten Baltimore County. Baltimore hat 585.708 Einwohner (Stand: 2020) und ist einer der bedeutendsten Seehäfen in den Vereinigten Staaten.

Die Stadt wurde im Jahr 1729 gegründet und nach dem ersten und zweiten Baron Baltimore benannt, den britischen Begründern der Maryland-Kolonie. Der Name Baltimore ist irischen Ursprungs.

Anfangs als Hafen für den Tabakhandel angelegt, entwickelte sich die Stadt rasch zum Zentrum des Handels mit Europa und der Karibik. Als Philadelphia 1777 von den Briten besetzt wurde, tagte in Baltimore der Kontinentalkongress. Im Britisch-Amerikanischen Krieg von 1812 unternahmen die Briten den Versuch, die von Baltimore aus agierenden Freibeuter auszuschalten. Die Schlacht am Fort McHenry im Jahre 1814, die daraus entstand, inspirierte Francis Scott Key zu dem Text der späteren amerikanischen Nationalhymne The Star-Spangled Banner.

Am 28. Dezember 1827 legte in Baltimore die Baltimore-und-Ohio-Eisenbahngesellschaft den Grundstein für die erste Eisenbahnlinie der USA. Sie war zunächst als eine Pferdebahn geplant; nach einem Wettrennen zwischen der Lokomotive Tom Thumb und einem Pferd musterte man bereits am 1831 alle Rösser aus und ging zu Dampfbetrieb über, obgleich das Pferd gesiegt hatte. 1835 kam es in Baltimore zu einer der schwersten Unruhen des 19. Jahrhunderts in den USA, nachdem die Bank of Maryland zusammengebrochen war und Anleger ihre Ersparnisse verloren hatten. Beim Eingreifen der Miliz wurden zwanzig Menschen getötet und rund einhundert verletzt.

1831 bis 1835 lebte der junge Edgar Allan Poe in Baltimore bei seiner Tante Maria Clemm. Er begann hier in großer Armut seine Laufbahn als Erfinder und Meister der Kurzgeschichte. 1849 starb er auf bis heute nicht völlig aufgeklärte Art und Weise im Washington College Hospital in Baltimore. Er ist auf dem Friedhof der ehemaligen presbyterianischen Westminster-Kirche begraben.

Durch die gute Eisenbahnverbindung in den Mittleren Westen und durch die Einrichtung einer regelmäßigen Dampfschifffahrtsverbindung des Norddeutschen Lloyds von Bremerhaven nach Baltimore entwickelte sich der Hafen zum zweitgrößten Einwanderungshafen der USA nach New York.

1886 entwickelte der deutsche Einwanderer Ottmar Mergenthaler hier die Linotype-Setzmaschine.

Am 7. Februar 1904 fielen bei einem Großbrand weite Teile der Stadt den Flammen zum Opfer.

Im Anschluss an die Ermordung von Martin Luther King am 6. Mai 1968 kam es in Baltimore wie in über 100 anderen Städten zu gewalttätigen Ausschreitungen. In Baltimore waren diese besonders umfangreich, da in der Stadt der gesellschaftliche Wandel hin zur faktischen Rassentrennung besonders ausgeprägt war. Weiße zogen in die Vorstädte, während die Schwarzen in der alten Stadt zurückblieben. Der Gouverneur von Maryland Spiro Agnew reagierte ab dem 11. April mit besonderer Härte, seine Politik wird als Beginn der militärischen Aufrüstung der Polizei in den Vereinigten Staaten angesehen.

Am 26. März 2024 rammte ein Containerschiff einen Pfeiler der 1977 fertiggestellten Francis Scott Key Bridge im Zuge einer Ringautobahn Interstate, woraufhin deren zentraler Stahlfachwerk-Teil einstürzte.

Gelegen an der Mündung des Patapsco River in die Chesapeake Bay, zählt der Hafen von Baltimore zu den größten Seehäfen der USA. Drei Flussüberquerungen verbanden die Ufer des Patapsco River. Im Jahr 1957 wurde der Baltimore Harbor Tunnel, eine Unterführung des Flusses fertiggestellt, zwanzig Jahre später folgte die Francis Scott Key Bridge. 1985 wurde ein weiterer Tunnel, der Fort McHenry Tunnel, eröffnet. Das Brückenbauwerk der Francis Scott Key Bridge war einschließlich der Rampenbrücken rund 2770 m lang. Eine Fachwerkträgerbrücke bildete den 806 m langen zentralen Teil, wovon 366 m auf die Hauptöffnung und je 220 m auf die Seitenöffnungen entfielen. Die Brücke hatte Stand 2024 die drittlängste Stützweite aller Stahlfachwerkbrücken.

Der Einsturz der Brücke hat nicht nur eine Beeinträchtigung des Verkehrs an der Ostküste der Vereinigten Staaten zur Folge, sondern verursacht auch die Sperre der Hafeneinfahrt für viele Wochen. Das hat unter anderem Auswirkungen auf den Import und Export von Automobilen in und aus den USA.

Ich glaube mich erinnern zu können, über diese Brücke gefahren zu sein – oder waren es doch die Tunnels gewesen?

Tand, Tand, ist das Gebilde aus Menschenhand

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